Wenn du etwas erreichen möchtest, dann musst du dir Ziele setzen. So hören wir immer wieder. Und es stimmt: Studien haben gezeigt, dass Personen, die sich bewusst Ziele setzen, diese auch eher erreichen.
Insbesondere dann, wenn das Ergebnis deiner Bemühungen in weiter Ferne liegt, steigert eine realistische Zielsetzung die Chance, dass deine Pläne auch wirklich umgesetzt werden. Du weißt einfach warum du dich anstrengst, weil du dein Ziel immer vor Augen hast und kennst die notwendigen Schritte dorthin.
Doch gilt das auch für Fitnessziele?
Erreichst du dein Wunschgewicht besser, wenn du dir ein genaues Ziel setzt? Bekommst du deinen Traumkörper schneller, wenn du deine Vorsätze bewusst planst? Dein Körper ist schließlich kein Businessprojekt.
Fitnessziele mögen auf Papier gut aussehen, aber ich habe meine Zweifel, ob sie in der realen Welt so viel Aufmerksamkeit erhalten sollten, wie dies gegenwärtig geschieht.
Denn Fitnessziele können auch unerwünschte Probleme mit sich bringen. Und über die wird meist geschwiegen.
Nehmen wir mal an, du möchtest etwas schlanker und fitter werden. Ein paar Muskeln aufbauen wäre auch nicht schlecht.
Also setzt du dich hin, wie du es gelernt hast, und machst dir einen Plan. Denn der Spruch heißt ja:
„Failing to plan is planning to fail.“
Wenn du jemals ein Zeitmanagementbuch gelesen hast oder auf einer Fortbildung zum Thema „Selbstmanagement“ warst, dann weißt du bestimmt: Ziele sollten realistisch, spezifisch, ausführbar, messbar und zeitgebunden sein.
Deshalb nimmst du das Papier zur Hand und überlegst dir ein passendes, realistisches und messbares Ziel, dass du in einer bestimmten Zeit erreichen möchtest.
Und dann trainierst du, misst den Fortschritt, ernährst dich nach Plan.
Doch deine Ziele erreichst du nicht.
Was ist passiert? Hast du die Motivation verloren? War dein Ziel nicht realistisch, spezifisch und messbar genug?
Nein, wahrscheinlich liegt es daran nicht.
Vermutlich hast du nur mit den Problemen von Fitnesszielen Bekanntschaft gemacht. Die meisten Fitnessziele funktionieren leider nicht. Da kannst du noch so gut planen.
„7000 Kilokalorien steckt in einem Kilo Körperfett. Wenn du also wöchentlich ein halbes Kilo abnehmen möchtest, dann musst du 3500 kcal einsparen. Das sind täglich 500 kcal weniger als bisher. Das ist doch ein realistisches Ziel, oder?“
Möglicherweise. Aber vielleicht auch nicht. Was bei der einen Person funktioniert, muss bei der anderen noch lange nicht klappen. Der Körper ist einfach keine Maschine mit wenigen Schaltern und Knöpfen, die du einfach drücken kannst und dann passiert das, was du möchtest.
Wie ich schon oft geschrieben habe: Der Körper ist nicht endlos formbar. Und es gibt schon gar nicht eine Garantie, dass er sich so verändert wie du es dir wünscht.
Das Internet ist voll von Erfolgsgeschichten. Von Leuten, die abgenommen haben, fit wurden und jetzt einfach toll aussehen.
Was du nicht siehst oder liest sind die Mehrzahl der Misserfolge. All die, die sich auch ein Ziel gesetzt und es sklavisch verfolgt haben, aber deren Körper sich nicht so verändert hat, wie sie es wollten.
„Wenn ich Muskeln aufbauen möchte und mir als Ziel nehme in jeder Trainingseinheit eine Wiederholung mehr zu machen oder mehr Gewicht zu nehmen, dann baue ich auf jeden Fall Muskeln auf. Das ist doch wissenschaftlich erwiesen, oder?“
Ach, wäre es doch nur so einfach. Auch hier gilt: Der Körper ist keine Maschine.
Was viele nicht wissen ist, dass es in jeder Studie zu einer Trainingsmethode immer Non-Responder gibt. Also Leute, die auf das Training gar nicht, oder sogar negativ reagieren. Und die Anzahl der Non-Responder ist gar nicht so gering. Sie machen – je nach Studie – etwa 10% bis 40%(!) aus. Es kann also gut sein, dass dein Trainingsprogramm dir nichts bringt. Null. Nada.
Oder etwas bildlicher formuliert:
Wenn du eine Holzlatte um 5 cm kürzen möchtest, dann nimmst du die Holzlatte, misst 5 cm ab, markierst die Stelle und sägst das verdammte Ding genau an dieser Stelle durch. Ziel erreicht. Hier funktioniert eine Zielsetzung sehr gut.
Dein Körper gehorcht aber nicht solchen mechanistischen Prinzipien. Du kannst deine Fitnessziele auch noch so genau formulieren, du hast niemals eine Garantie sie zu erreichen. Trotz akribischer Planung und sklavischer Einhaltung des Plans.
„Gute Ziele sind realistisch, messbar und spezifisch. Je genauer du die Schritte zum Ziel planst und dich darauf fokussierst, desto besser. Oder?“
Nicht unbedingt. Häufig verlieren wir durch genaue Planung das große Ganze aus dem Blick.
Wer z. B. abnehmen möchte richtet sein Augenmerk häufig auf die Waage. Anstatt das Ernährungsverhalten in den Mittelpunkt zu stellen werden Kilos gemessen und Punkte oder Kalorien gezählt.
Dabei ist das richtige Ernährungsverhalten viel wichtiger beim Abnehmen als die Zahl, die gerade aktuell auf der Waage steht.
Diese Detailversessenheit begünstigt zudem ein kurzfristiges Denken. Eine Verhaltensänderung braucht aber Zeit. So wie viele andere Veränderungen im und am Körper auch.
Du wachst nicht einfach morgens auf und bist schlank, fit und stark. Das ist ein langer Prozess.
Wenn du nur in kleinen Schritten denkst, um an dein großes Ziel zu gelangen, dann ärgerst du dich höchstens, dass du heute schon wieder nicht dein „Unterziel“ erreicht hast. Du bist frustriert und gibst möglicherweise ganz auf.
Oder du versuchst dein Ziel noch offensiver zu erreichen und quälst deinen Körper, sei es mit einem noch höheren Kaloriendefizit, zu hohen Trainingsgewichten, noch mehr Sport – in der Hoffnung das er dir gehorcht.
So eine Tortur führt nur zum Gegenteil. Dein Körper wird dicht machen und das wird sich auch auf deine Psyche auswirken.
Durch kleinschrittiges Ziel-Denken verlieren wir darüber hinaus die Fähigkeit flexibel zu reagieren. Deine Beine haben noch einen Muskelkater von der letzten Trainingseinheit? Egal, heute stehen sie wieder im Plan – also ran an die Gewichte. So ein Verhalten schadet mehr, als das es hilft.
Da der Körper keine Maschine ist, müssen wir flexibel bleiben. Wir können nicht alles bis ins Detail planen und hoffen, dass sich der Körper dem Plan unterwirft.
Eigentlich sollte es genau umgekehrt sein: Du solltest auf deinen Körper hören und nicht von deinem Körper das abverlangen, was du dir gerade ausgedacht hast.
„Wenn ich mein Ziel endlich erreicht habe, dann fühle ich mich endlich besser.“
Wenn du ein Fitnessziel hast, dann möchtest du dich verändern. Aber warum willst du dich denn überhaupt verändern? Wahrscheinlich empfindest du gerade jetzt irgendeinen Mangel an dir.
Vielleicht empfindest du dich als zu dick oder zu dünn. Oder du meinst zu wenig Muskeln zu haben. Oder zu ungesund zu leben.
Es ist klasse, dass du dich verändern willst. Das Problem ist nur, dass du dich weiterhin als mangelhaft empfindest, so lange du dein Ziel nicht erreicht hast.
Ein Fitnessziel beseitigt den Mangel nicht – es verstärkt ihn sogar.
Jedes Mal wenn du im Spiegel schaust, auf der Waage die Zahl abliest, etwas isst oder trainierst: Immer wieder wird dir klar, dass du jetzt, so wie du bist, nicht gut genug bist.
Wenn du dich jetzt als unzureichend empfindest, wer sagt denn, dass alles besser wird, wenn du dein Ziel erreichst?
Gibt es denn keine fitten, gutaussehenden Menschen, die noch immer nicht zufrieden sind? Das ist leider genauso selten wie reiche Menschen, die mit einem guten Einkommen zufrieden sind. Sonst hätte Jeff Bezos es bei einem Buchladen belassen.
Du wirst dich weiterhin als Mangelwesen begreifen. Höchstwahrscheinlich auch dann, wenn du dein Ziel erreicht hast. Denn nach dem Ziel ist vor dem Ziel. Dein Leben wird nicht einfacher. Du bist, wer du bist.
Aber erst wenn du deinen Körper nicht als mangelhaft begreifst, kannst du auf ihn positiv einwirken. Erst dann wird es dir möglich sein, dass du dich wirklich veränderst.
Mit Fitnesszielen ist die Chance groß, dass du deinen Körper jedoch als etwas unabhängiges von dir ansiehst. Als etwas, was du beherrschen musst. Aus dieser Sicht heraus ist keine richtige Fitness möglich.
Ich möchte nicht behaupten, dass Fitnessziele generell schlecht sind. Immerhin sind sie ein Signal für die Bereitschaft von Veränderung.
Wer Pläne schmiedet möchte diese aber auch erreichen. Und da denke ich sind Fitnessziele viel zu überbewertet und gehen meistens sogar nach hinten los.
Fitnessziele sind kein Werkzeug, die dich von A nach B bringen. Von dick zu schlank. Dünn zu Muskelmann. Unfit zu fit.
Ziele und Pläne funktionieren nur dann sehr gut, wenn dir alle Mittel und Maßnahmen bekannt sind. Wenn es keine Unwägbarkeiten gibt. Aber Unwägbarkeiten gibt es zuhauf auf deinem Weg zum Fitnessziel, wie du oben gelesen hast.
Der richtige Umgang mit Fitnesszielen liegt darin, sie einfach nicht ganz so ernst zu nehmen. Ja genau das Gegenteil von dem, was häufig gepredigt wird.
Wenn du dein Hauptaugenmerk auf das Ziel legst, dann zäumst du quasi das Pferd von hinten auf.
Die meisten setzen sich nämlich ein Ziel und ändern dann notwendigerweise ihr Verhalten, um an das Ziel zu gelangen.
Du willst ein Six-Pack (was ohnehin ein schlechtes Ziel ist) und machst deshalb Bauchtraining und eine Diät. Das Bauchtraining und die Diät sind nur Hilfsmittel.
Glaubst du, dass du lange bei dem Training und der Diät bleiben wirst, wenn du sie nur als Hilfsmittel ansiehst? Bei der ersten Hürde (Schnupfen, viel zu tun auf der Arbeit, keine Lust) verwandelt sich das Ziel in einer weit, weit entfernten Nebelwolke. Puff.
Wie sähe es aber aus, wenn du die Sache umkehrst? Wenn du zuerst an deine Verhaltensweisen denkst?
Nur wenn du langfristig bei der Sache bleibst, wirst du fitter werden.
Wenn du dein Training und deine Ernährung nur als Mittel zum Zweck siehst, um ein Ziel zu erreichen, dann wirst du sofort aufhören, wenn dein Körper streikt. Wenn er nicht auf deine Diät oder dein hartes Training reagiert (Fitnessziel Problem 1). Wozu denn weitermachen? Hat doch eh keinen Zweck.
Wenn dein Fitnessplan nur Mittel zum Zweck für ein Ziel ist, dann wirst du aufhören, wenn die Waage nicht nach unten geht, obwohl du doch ständig 500 kcal weniger gegessen hast. Oder wenn dein Bizeps in den letzten Monaten nicht gewachsen ist. Wie sollst du dann noch dein (zeitgebundenes) Ziel erreichen? (Fitnessziel Problem 2).
Wenn dein Training und deine Ernährung nur Mittel zum Zweck eines Zieles waren – und du hast es trotz allen Widrigkeiten erreicht…dann wirst du dich weiterhin als Mangelwesen empfinden (Fitnessziel Problem 3). Es geht immer noch besser, schneller, weiter, schöner.
So kannst du eigentlich nur verlieren.
Wenn dein Training und deine Ernährung aber keine Hilfsmittel sind um ein Ziel zu erreichen, sondern dir täglich Freude und Zufriedenheit bringen. Was wäre dann? Dann würdest du dein Ziel quasi beiläufig erreichen.
Betrachte dein Verhalten (die Ernährung und das Training) nicht als Mittel zum Zweck. Als notwendiges Übel, um endlich dein Ziel zu erreichen. Beginne am richtigen Ende und lege das Hauptaugenmerk auf dein Verhalten.
Was sich für den ein oder anderen trivial anhören mag, ist jedoch entscheidend, wenn du wirklich etwas an dir verändern möchtest.
In sozialpsychologischen Studien hat sich immer wieder gezeigt, dass Personen, die ein zielbezogenes Denken aufweisen („outcome-based“) weitaus weniger häufig ihre Ziele erreichen, als diejenigen, die nicht an ihr Ziel denken und sich auf das Verhalten konzentrieren („process-based“).
Denn erst wenn du deinen Fokus auf das Verhalten und nicht auf das Ziel setzt, stellst du dir die richtigen Fragen, die dich voran bringen.
„Welches Training macht mir am meisten Spaß?“ ist eine bessere Frage als „Welches Training bringt mich am schnellsten zum Ziel?“
„Was soll ich als nächstes kochen, was mir schmeckt und gut bekommt?“ ist die bessere Frage als „Wie viel wiege ich heute?“
„Wann schaffe ich meine Trainingseinheit trotz der Termine?“ ist eine bessere Frage als „Kann ich mein Ziel noch erreichen, wenn ich die Trainingseinheit ausfallen lasse?“
Du machst dir Gedanken darüber, wie du tatsächlich dein Training und deine Ernährung alltagstauglich umsetzen kannst. Und dein Fitnessziel? Das ist nice to have, aber nicht entscheidend.