Du hast ein paar Kilos zu viel und willst fit werden. Also was tun? Abnehmen und Sport treiben natürlich! Oder? Ist Abnehmen wirklich der erste Schritt zur Fitness?
Fitness ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Gewicht ist dabei nur ein Faktor – allerdings wird dieser gesellschaftlich ziemlich verherrlicht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass unser körperliche Erscheinung im Gegensatz zu anderen Fitness-Merkmalen äußerlich sichtbar ist.
Wenn du an einer Fußgängerampel stehst, kann keiner auf der anderen Straßenseite in deinem Kopf schauen und über deine mentale Verfassung urteilen. Aber dein körperliches Erscheinungsbild ist in der Öffentlichkeit immer sichtbar. Und dadurch immer fremden Urteilen ausgesetzt.
Übergewichtige werden in unserer Gesellschaft stigmatisiert. Und oftmals wird dieses Fat-Shaming durch Fitness und Gesundheit legitimiert: „Ich mache mir nur Sorgen um deine Gesundheit. Du hast zugenommen und siehst nicht fit aus.“
In Wirklichkeit sagen solche Sätze mehr über unsere Gesellschaft aus, als über deine Gesundheit. Und über eine falsche Vorstellung, die wir über Fitness und unserem Körper haben. Und diese falsche Vorstellung gilt es zunächst auszuräumen, bevor du fit werden kannst.
Zu meiner Studienzeit war ich sehr schlank. Ich wog knapp 60 kg auf 1,80 m. Laut BMI unteres Normalgewicht. Dabei habe ich zu Beginn weder Cardio- noch Krafttraining betrieben. Meine Ernährung bestand aus einem Kaffee und Donut am späten Morgen in der Cafeteria, Mittagessen aus der Großküche der Mensa und ein paar Scheiben Käse zwischen zwei Weißbrotscheiben am Abend. So eine Ernährung würde man landläufig nicht gerade als „gesund“ bezeichnen. Und besonders fit war ich bestimmt auch nicht.
Leute nehmen einfach an, dass schlanke Personen gesund sind. Dabei ernährten sich die meisten schlanken Leute um mich herum eher verdammt ungesund. Sie lebten von Schokolade, Kaffee, Zigaretten und bewegten sich wenig (ich habe Literatur und Philosophie studiert, da hatte man es nicht so mit der Körperlichkeit).
Gesundheit und Fitness haben wenig mit Schlankheit zu tun.
Aber auch das Gegenteil ist richtig: Wenn du fülliger bist, sagt das noch gar nichts über deinen Gesundheitszustand aus. Nur die Extreme korrelieren mit Krankheit. Aber selbst dann ist es die „Huhn oder Ei“-Frage: Was war zuerst da?
Wenn jemand magersüchtig ist, dann ist die Person höchstwahrscheinlich so schlank, weil sie eben krank ist. Das würde keiner bezweifeln. Aber wenn jemand Diabetes Typ 2 hat, sind selbst die Ärzte schnell dabei ein kausales Verhältnis zwischen dem Gewicht und der Krankheit herzustellen. Dabei könnte die Person doch auch einfach mehr Gewicht haben, gerade weil sie eine Stoffwechselkrankheit hat. Es gibt ja tatsächlich auch Leute mit einem normalen BMI, die Diabetes Typ 2 haben.
Mit anderen Worten: Du kannst nicht erkennen, ob jemand gesund und fit ist, nur weil du dir den Körper anschaust. Nur gesund ist gesund. Und nur fit ist fit. Und wer etwas anderes behauptet, lebt in realitätsfernen Klischeevorstellungen, die gesellschaftlich dazu dienen sich von anderen abzugrenzen. Oder arbeitet in der Diät- und Lebensmittelindustrie.
Die Diät- und Lebensmittelindustrie ist milliardenschwer. Und sie versucht dich süchtig zu machen. Süchtig nach mehr: Mehr Ratgeber, mehr Diäten, mehr (angeblich) „gesunde Lebensmittel“, mehr Komplexität.
Denn je komplexer das Thema ist, desto besser lässt es sich verkaufen. Denn die Komplexität führt zur Verwirrung. Und ist der Konsument erst einmal verwirrt, dann kann man einfache Lösungen zu einem komplexen Thema verkaufen. Das suggeriert dann wieder die Illusion der Kontrolle.
Denn darauf läuft es hinaus:
Wir würden gerne die Kontrolle über unseren Körper haben.
Und zwar alle. Vom Dicken, der gerne abnehmen will, bis hin zur schlanken, sportlichen Fitness-Influencerin. Dabei geht es oft nicht um den Körper selbst, sondern darum, einen anderen Kontrollverlust auszugleichen. Frei nach dem Motto: Läuft es in meinem Leben nicht so gut, dann soll sich wenigstens mein Körper nach mir richten.
Dadurch entstehen 3 Schwierigkeiten:
1. Das eigentliche Problem wird nicht angesprochen, sondern auf den Körper verlegt
Was steckt wirklich dahinter, dass du die Kontrolle über deinen Körper haben willst? Denke daran, dass schlanke, sportliche Leute nicht unbedingt glücklichere Menschen sind. Das Eine hat nichts mit dem Anderen zu tun. Und wenn sie glücklich sind, dann sind sie es bestimmt nicht, weil sie schlank und sportlich sind. In der Tat gibt es genügend Beispiele von Personen in der Fitness-Branche, die an Einsamkeitsgefühlen und Depressionen leiden.
2. Du hast keinen universellen Anspruch auf einen „formbaren Körper“
Du kannst dich noch so sehr anstrengen, aber es gibt keine Garantie darauf, dass dein Körper dir „gehorcht“. Wer hat eigentlich gesagt, dass der Körper unendlich formbar ist? Du kannst deinen Körper noch so geißeln, wenn du dir deinen Traumkörper nach den Vorbildern der Medien aussuchst, dann wirst du enttäuscht sein. Denn jeder hat seinen eigenen Körpertyp. Und vielleicht speichert dein Körper da Fett, wo du es nicht haben willst, weil es nicht dem gesellschaftlich vermittelten Bild von „Fitness“ entspricht. Aber daran wirst du nie etwas ändern können.
3. „Formbare Körper“ sind nie fertig
Der formbare Körper bleibt eine ewige Baustelle. Das ist auch ein Grund, warum selbst schlanke Personen nicht glücklicher mit ihrem Körper sind. Mehr Muskeln, ein strammen Hintern, bessere Gesundheit – es gibt immer was auszusetzen. Unzufriedenheit ist vorprogrammiert. Das weiß auch die Diät- und Lebensmittelindustrie. Deshalb gibt es jede Woche eine neue Diät und einen neuen Ratgeber zur Ernährung. Ein schier endloser Markt für den nie zufriedenen Konsumenten.
Wenn du der Illusion der Kontrolle unterliegst musst du nicht abnehmen, um fit zu werden.
Du musst erst einmal einsehen, dass du keinen Herrschaftsanspruch auf deinen Körper hast.
Du hast ein gestörtes Verhältnis zu dir und deinem Körper.
Schon Epiktet, ein Stoiker im ersten Jahrhundert nach Christus, wusste: „Nicht in unserer Gewalt steht unser Körper, unser Besitz und unser Ansehen.“ In unserer Gewalt steht nur unser Denken, Handeln und Begehren. Diese Einsicht ist die Grundlage des stoischen Denkens (und die Grundlage von Stoic-Fitness). Denn viele Probleme fangen damit an, dass wir über etwas herrschen wollen, worüber wir eigentlich gar nicht herrschen können.
Erst wenn du von der Idee des „formbaren Körpers“ absiehst, kannst du ein gutes Verhältnis mit ihm eingehen. Es ist ein riesiger Unterschied, ob du deinen Körper wiegst, die Kalorien oder Kohlenhydrate zählst, ihn einer Fitness-Tortur unterziehst – oder ob du einen unverfälschten Zugang zu deinem Körper hast. Einen Zugang, der nicht auf Zahlen beruht. Ob du ein Bewusstsein für deinen Körper entwickelt hast. Das, was im Englischen als body awareness bezeichnet wird.
Bei deinen Abnehmversuchen geht es nicht ums Essen oder Gewicht. Schon gar nicht um Diät-Trends, Kohlenhydrate oder andere Nährstoffe. Es geht um dich.
Es geht selten darum, was du essen solltest, oder was nicht. Eine Diät kann kurzfristig zu einem Gewichtsverlust führen – aber wenn du weiterhin der Kontroll-Illusion verhaftet bleibst, führt dies langfristig nur zu Ernährungsproblemen. Und Essens- und Ernährungsprobleme sind immer psychologischer Natur.
Gib die Körper-Kontrolle auf und konzentriere dich darauf, was du beeinflussen kannst: Dein Denken und dein Handeln. Jetzt und hier.
Wenn sich mal wieder eine Rohkost-Veganerin auf YouTube von ihrer extremen Ernährungsform verabschiedet – nur um bei einer ebenso extremen Fleisch-Diät zu landen, dann hat sie viel mit einem Fettleibigen gemein, der unter einer Binge-Eating-Störung leidet. Beide operieren in Extremen, auch wenn sie vielleicht 100 Kilo voneinander entfernt sind. Beide sind nicht fit.
Ebenso hat ein „Fitness“-Influencer, der jeden Gramm seines Essens abwiegt und seine Makronährstoffe genauestens protokolliert, mehr mit einer übergewichtigen Frau gemein, die sich leidenschaftlich der Völlerei hingibt, als ihm lieb ist. Beide haben ein angespanntes Verhältnis zu sich und zu ihrer Ernährung.
Egal wie erfolgreich deine Diät auch ist, so lange dein Essen weiterhin dein Leben mitbestimmt, hast du ein Problem. Du bist dann eben nicht fit. Ob schlank, oder nicht.
Nur wenn Essen wirklich den Platz in deinem Kopf einnimmt, den es einnehmen sollte, und du dich von der Körper-Kontrolle verabschiedet hast, kannst du von dir behaupten einen richtigen Schritt in Richtung (Stoic-)Fitness gemacht zu haben.
Es wird keine Diät geben, die dieses Problem anspricht. Weder Low-Carb, Vollwertkost, noch Paleo und wie sie alle heißen. Warum nicht? Weil dieses Fitness- und Ernährungs-Problem in deinem Kopf beginnt. Und zum Glück wurde dieser bisher nicht kommodifiziert (auch wenn Elon Musk mit Neuralink gerade daran arbeitet).
Denn die Akzeptanz deinem Körper und dem Essen gegenüber kann nur von dir kommen.
Es ist eine Änderung deines Mindsets – keine Ernährungsregel. Diäten verlangen hingegen deinem Körper Restriktionen ab. Diäten gehen davon aus, dass dein Körper nicht besonders intelligent ist und von dir quasi in die Schranken verwiesen werden muss. Dem ist nicht so!
Die fittesten Menschen auf diesen Planeten haben ein außergewöhnliches Körperbewusstsein. Das gilt nicht nur für die Ernährung, sondern auch für das Training. Und keine Diät oder Ernährungsregel kann dir dies beibringen.
Fazit
Wir Menschen kommen in allen möglichen Größen und Formen daher. Das Fitness sich nur in einer bestimmten körperlichen Erscheinung manifestiert (die auch noch mode- und kulturabhängig ist), ist absoluter Humbug. Wenn es sich nicht gerade um Extreme handelt, kannst du vom Erscheinungsbild nicht auf die Fitness einer Person schließen.
Das wir aber häufig so denken zeigt, dass wir ein gänzlich gestörtes Verhältnis zu uns und unserem Körper haben. Wir glauben, dass der Körper etwas ist, was wir kontrollieren und formen können oder sollten. Dabei wussten schon die Stoiker, dass der eigene Körper nicht in deiner Gewalt steht. Ihn mit Diät-Vorschriften und Restriktionen zu knechten gibt dir nur die Illusion einer Kontrolle über den Körper.
In Wahrheit entfernst du dich jedoch immer weiter von ihm, weil du kein richtiges Körperbewusstsein zulässt. Dabei haben wirklich fitte Menschen ein stark ausgeprägtes Körperbewusstsein. Sie wissen was gut für sie ist – und was nicht.
Wenn du also wirklich fit werden willst, dann ist der erste Schritt nicht eine Diät, sondern ein anderes Verhältnis zu dir und deinem Körper. Denn keine Ernährungsregeln werden dir dabei helfen die Akzeptanz deinem Körper gegenüber zu finden. Diese benötigst du aber, um ein gutes Körperbewusstsein zu entwickeln und fit zu werden. Erst dann wird dir auch dein Körper auf dem Weg zu deinen Fitness-Zielen folgen.