Worauf fokussieren sich die meisten Leute, die abnehmen wollen?

Welches Gewicht die Waage anzeigt.

Und worauf fokussieren sich die meisten Leute, die Muskeln aufbauen wollen?

Auf das Gewicht der Hantel.

Wenn du fitter werden willst, stolperst du ganz schnell in die Quantifizierungsfalle. Damit meine ich, dass du deine Ernährung, dein Training – quasi deine ganze Fitness von Zahlen abhängig machst:

  • Wie viele Schritte bin ich heute gegangen?
  • Wie viel Protein habe ich heute gegessen?
  • Wie viel Gewicht habe ich diese Woche verloren?
  • Wie schnell bin ich die Runde gelaufen?

Wir glauben, dass wir mit Zahlen einen objektiven Blick auf unser Fitnesstraining und unsere Ernährung werfen können. Sie verleihen unserem Handeln Autorität und scheinbare Neutralität. Ganz so, als ob wir uns selbst nicht trauen könnten.

Dabei weiß unser Körper viel mehr, als alle Zahlen zusammen.

Stell dir vor du möchtest abnehmen und hast dir vorgenommen, dass du wöchentlich dein Gewicht kontrollierst. Die Waage zeigt an, dass du diese Woche fast ein ganzes Kilogramm mehr wiegst als die Woche zuvor. Du bist natürlich total enttäuscht. Die ganze Mühe vollkommen umsonst. 

Aber stimmt das wirklich?

Oder stell dir vor, du möchtest auch so muskulös aussehen, wie das Covermodel einer Fitnesszeitschrift. Du trainierst mit progressiv schwereren Trainingsgewichten, denn du glaubst, dass du so am besten Muskeln aufbauen kannst. Doch leider konntest du in diesem Monat deine Gewichte in fast allen Übungen nicht steigern. Du bist deprimiert und glaubst, dass du keine Fortschritte gemacht hast. 

Aber ist das wirklich der Fall?

In beiden Beispielen verlässt du dich voll und ganz auf die Zahlen. Doch Zahlen können dich in die Irre führen. Dein Körper funktioniert nicht wie ein Lagerbestand: Hier eine Kiste Fett weniger, da eine Kiste Muskeln mehr.

Die Zahlen in den Beispielen sagen rein gar nichts über deinen wirklichen Fortschritt aus. 

Wenn du in den Tagen bevor du dich wiegst unbewusst mehr getrunken, mehr Salz, oder mehr Kohlenhydrate gegessen hast – könntest du schon ein Kilo schwerer sein. Nicht weil Kohlenhydrate dick machen (das ist Quatsch), sondern weil sie Wasser in deine Muskeln einlagern. Was erst einmal eine gute Sache ist, denn so fühlst du dich besser und hast mehr Power fürs Training. 

Vielleicht hast du auch mehr Salz gegessen. Auch Salz zieht mehr Wasser in deinen Körper. Und schon wiegst du direkt ein Kilo mehr als die Woche zuvor und würdest dich gar nicht mehr über das Ergebnis freuen. Beides hat aber nichts mit deinem Körperfett zu tun. 

Du glaubst, deine Muskeln würden nicht wachsen, weil deine Trainingsgewichte nicht steigen. Aber auch hier kannst du nicht in den Körper hineinschauen. Das Trainingsgewicht ist für den Muskelaufbau zweitrangig. Es gibt keine Regel, die besagt, dass mehr Gewicht auf der Hantel auch mehr Muskeln bedeutet. 

Vielleicht konntest du deine Muskeln mit dem gleichen Trainingsgewicht besser ansprechen? Vielleicht hast du somit sogar viel effektiver für den Muskelaufbau trainiert?

Warum Zahlen nichts über deine Fitness aussagen

Zahlen sagen nichts über deine Fitness aus.

Vielleicht denkst du jetzt, dass es möglicherweise nicht direkt an den Zahlen selbst liegt, sondern welche Zahlen und Parameter du misst. „Garbage in – garbage out“ heißt es in der Informatik. Das Ergebnis ist nicht aussagekräftig, weil du dir die falschen Zahlen anschaust.

Bleiben wir beim obigen Beispiel. Vielleicht solltest du nicht dein Körpergewicht wiegen, sondern dein Körperfett messen. Ist das schlauer? Immerhin misst du dann direkt den Parameter, den du verändern willst.

Zum einen wirst du nie an einen genauen Wert kommen. Selbst die besten Messmethoden für die Bestimmung des Körperfettgehalts sind ungenau. Und die Geräte, die für den heimischen Gebrauch konstruiert wurden (wie zum Beispiel Körperfettwaagen) sind noch immer sehr fehlerhaft. Du kommst also erst gar nicht an die Zahl, die du eigentlich steuern willst.

Was aber noch wichtiger ist: 

Keine Zahl, so genau sie auch sein mag, sagt etwas über deine Fitness aus.

Die Fitnessbranche möchte gerne den Begriff „Fitness“ auf eine Art Selbstoptimierung des Körpers verkürzen. Denn wer auf Zahlen hört, dem kann man auch Geräte und Methoden verkaufen, um diese Zahlen zu messen. Fitness ist jedoch viel mehr, als du mit Zahlen messen kannst.

Bist du wirklich fit, wenn:

  • du 12% Körperfett hast, aber keinen Genuss mehr beim Essen empfindest?
  • deine maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) weit über 50 liegt, du aber dafür trainieren musst, bis dir schlecht wird?
  • du mit Unterstützung von „leistungssteigernden Substanzen“ Muskeln wie Arnold hast, aber dafür deine Gesundheit riskierst?

Wahrscheinlich nicht.

Stehst du im sportlichen Wettkampf, dann brauchst du tatsächlich Zahlen. Olympioniken gewinnen nur die begehrten Medaillen, wenn sie messbar besser sind als ihre Konkurrenz. Höher, schneller, weiter. 

Aber Fitness sollte nichts mit Leistung und Effizienz zu tun haben

Oder damit, dass du deine Konkurrenz abhängst. 

Fitness hat alleine mit dir selbst etwas zu tun.

Aber Zahlen an sich bringen keine Selbsterkenntnis. Sie können keinen höheren Sinnzusammenhang stiften. Das kannst nur du.

Oder wie der Philosoph Byung-Chul Han es formuliert:

Aus Daten allein, wie umfassend sie auch sein mögen, ergibt sich keine Erkenntnis. Sie beantworten jene Fragen nicht, die über Leistung und Effizienz hinausgehen

Warum wir Zahlen so lieben

Aber warum sind wir dann alle so vernarrt in Zahlen? Warum wollen wir uns vermessen und hoffen uns damit zu „verbessern“? 

Einerseits weil der Leistungsgedanke mittlerweile so sehr ein Teil unseres Denkens geworden ist, dass wir ihn auch auf unseren Körper anwenden. Der Körper soll diszipliniert werden, wie eine Maschine.

Wer seinen Körper aber diszipliniert, wer ihn knechtet und Gehorsam von ihm abverlangt, der entfremdet sich immer mehr von sich selbst. 

Und so gibt es genug Berichte von Fitnessfreaks, die sich in ein tiefes Loch gegraben haben. Die eigentlich nur fit sein wollten, aber nun mit Essstörungen, Burn-Out und Depressionen zu kämpfen haben. 

Mit der Herrschaft über den eigenen Körper geht auch noch ein anderer Gedanke einher: Wir wollen die Kontrolle über unseren Körper erlangen und sind von der fixen Idee besessen ihn zu formen wie ein Stück Knete.

Noch vor 60 Jahren war es vollkommen klar, dass es unterschiedliche Körpertypen gibt. Mit Sicherheit gab es auch schon damals Schönheitsideale. Aber die Akzeptanz der verschiedenen Körpertypen war viel größer als heute. Es ist kein Wunder, dass der Begriff Bodyshaming erst im 21. Jahrhundert auftaucht. 

Dabei kann jeder, der ein Schwimmbad oder den Strand besucht, sich eines Besseren belehren lassen. Die verschiedenen Körpertypen sind nicht verschwunden. Wir glauben nur, wir müssten unseren Körper einem Ideal angleichen. Als könnten wir uns alle in die gleiche Gussform legen. 

Mal abgesehen davon, dass es verdammt langweilig wäre, wenn jeder gleich aussehen würde, gibt es einen guten Grund, warum wir das nicht können: 

Kein Körper ist unendlich formbar.

Der Körper ist resilient gegen Veränderungen

Wenn du mal ziemlich schlank warst, aber nun einen bemerkenswerten Bauchansatz dein eigen nennst, dann wirst du wissen, dass dieser nicht über Nacht auf einmal da war. Genauso wenig wird der Bauch auch wieder über Nacht verschwinden. Das dauert selbst mit guter Ernährung und Sport einige Zeit. 

Das gleiche gilt für den Muskelaufbau. Du wirst nicht über Nacht zum Herkules. Wenn du Glück hast, dann passiert dies über Jahre. 

Oder auch gar nicht.

Denn der Körper möchte sich nicht so schnell verändern. Er möchte sein Gleichgewicht beibehalten. Das war im Laufe unserer Evolution von Vorteil. So konnte uns nicht jede kleine Hungersnot den Garaus machen.

In der Wissenschaft wird in dem Zusammenhang die Set-Point-Theorie diskutiert. Diese besagt, dass nicht nur der Blutzucker, der Blutdruck und die Körpertemperatur vom Körper autonom reguliert wird, sondern auch dein Körpergewicht. Der Set-Point für ein bestimmtes Körpergewicht kann sich zwar im Laufe des Lebens verschieben, bleibt dann aber recht stabil. 

Bisher wurde so ein molekularbiologischer Regelkreis jedoch noch nicht gefunden. Trotzdem weiß man aber, dass nicht jeder Körper gleich reagiert. Weder auf Kalorien, noch auf Trainingsstimuli. 

Eher im Gegenteil: Jeder Mensch ist verschieden. Hinzu kommen noch hundert andere Gründe, warum sich ein Körper verändert – oder auch nicht. Stress, Schlaf, Hormone etc.

Trotzdem versuchen wir die verschiedenen Körpertypen in die gleiche Form zu quetschen. Wir stülpen ihn unsere Idealvorstellungen über, wie ein angeblich „fitter“ Körper auszusehen hat.

Fitness statt Idealvorstellungen

Wollen wir das unser Körper einem Ideal entspricht, dann zwingen wir ihn in ein Korsett, dass ihm aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht passt. Zudem schnüren wir das Korsett mit Disziplin fest zu, damit der Körper nachgibt. So verpackt bekommt er keine Luft mehr. 

Der Körper wird sich mit allerlei Problemen bedanken. Körperliche, aber auch psychische. Viel besser wäre es, wenn wir ihn aus dem Korsett unserer eingebildeten Ideale befreien und auch nicht mit Zahlen disziplinieren würden. 

Denn dieser Leistungs-, Effizienz- und Perfektionsgedanke mit seiner Zahlentyrannei ist Gift für deine Fitness.

Zu richtiger Fitness gehört mehr als ein schöner Körper. In erster Linie ist Fitness körperliches und geistiges Wohlbefinden. Diese Definition von Fitness scheint den meisten Leuten fremd geworden zu sein. Kein Wunder, denn Wohlbefinden lässt sich nicht auf Instagram abbilden – ein starker Bizeps und ein knackiger Hintern schon. 

Fitness, richtig verstanden, ist ein Zustand, der eher nach innen gerichtet ist. Klar kann er sich auch äußerlich zeigen. Denn wer fit ist, der sieht wahrscheinlich auch besser aus, ist gesünder, kann seinen Alltag besser meistern und ist selbstbewußter.

Doch wir zäumen das Pferd von hinten auf, wenn wir in erster Linie an den tollen Body denken. Der Körper ist nicht formbar wie Knete. Und doch stellen wir oftmals die Formbarkeit über das Wohlbefinden.

Raus aus der Quantifizierungsfalle

Wie du aus der Quantifizierungsfalle entkommst

Zahlen sind nicht per se schlecht, wenn es um Fitness geht. Sie können uns helfen Rahmenbedingungen für ein gutes Training zu schaffen, sei es indem wir beispielsweise die Zeit, oder unsere Herzfrequenz messen.

Wenn wir uns allerdings alleine auf die Zahlen berufen, weil wir vermeintlich unsere Fitness objektivieren und den Körper disziplinieren wollen, vergessen wir den wichtigen Blick nach innen. 

Nicht die Zahlen, sondern unser Körper sollte uns sagen, ob das Training gut war, oder nicht. Ob wir lieber intensiver, oder weniger intensiv trainieren sollten. Ob die Muskeln bei der Übung richtig angesprochen werden, oder nicht. Ob wir außer Atem sind, oder doch etwas schneller laufen können. 

So wie uns auch unser Körper sagt, wie er auf unsere Ernährungsgewohnheiten reagiert. Es gibt tatsächlich Menschen, die haben abgenommen, ohne ihre Kalorien, Kohlenhydrate, Fastenstunden, oder Proteinzufuhr zu zählen. Doch, wirklich.

Zahlen liefern keine Erkenntnis. 

Sie liefern keinen objektiven Blick, sondern verstärken nur die Illusion, dass wir unseren Körper ständig kontrollieren könnten. Wie soll der Blick objektiv sein, wenn dein Körper doch so inhärent subjektiv funktioniert? Denn dein Körper existiert nicht unabhängig von dir.

Viele Trainierende haben schon durch die Quantifizierungsfalle den Bezug zu ihrem Körper verloren. Sie fragen nur „Wie viel Protein soll ich nehmen?“, „Wann soll ich die Trainingsgewichte erhöhen?“, „Wie muss ich trainieren, um mein VO2max zu steigern?“

Die meisten Zahlen, auf die wir uns so gerne für unsere Fitness verlassen, messen ohnehin nur einzelne Variablen. Dein Körper aber „misst“ viel mehr. Und das unmittelbar. 

Vor allem diese subjektiven Variablen sind es, die den Weg zur richtigen Fitness ebnen.

Selbsterkenntnis und echte Fitness kann durch scheinbar „objektive Daten“ nicht entstehen. Dafür musst du zunächst raus aus der Quantifizierungsfalle.

Mache eine Zahlendiät

Gehörst du auch zu denjenigen, die zu sehr auf äußere Signale wie Zahlen achten, anstatt dem eigenen Körper zu vertrauen?

Besteht für dich ein gutes Training nur darin, dass du am Ende völlig ausgepowert bist und deine persönliche Bestleistung übertroffen hast?

Glaubst du, nur weil du mehr Gewichte gestemmt hast, machst du Fortschritte im Muskelaufbau?

Rechnest du sklavisch deine Kalorien aus, kalkulierst deine Makronährstoffverteilung, oder hältst punktgenaue Fastenzeiten ein?

Dann bist du in der Quantifizierungsfalle gefangen. 

Hier hilft nur eine „Zahlendiät“: Der absichtliche Verzicht auf kalte Fitnessdaten, bist du wieder lernst dir und deinen Körper zu vertrauen.

Wenn du Krafttraining machst, dann versuche einfach mal deine Gewichte nicht zu erhöhen. Und vielleicht sogar mal nicht deine Wiederholungen zu zählen. Versuche lieber die Aufmerksamkeit auf deine Übungsausführung zu lenken. Was kannst du an der Ausführung verbessern? Achte darauf, welche Muskeln aktiviert werden und wie sie sich anspannen. Wann der Muskel „übermüdet“ ist usw. (hier und hier findest du mehr zu dem Thema). 

Anstatt in deinem Trainingstagebuch die Gewichte und Wiederholungen zu vermerken, mache dir Notizen zur Übungsausführung, was du verbessern willst, wie du dich gefühlt hast, etc. Solche subjektiven Eindrücke bringen dich schneller voran, als nackte Daten. Das sind die wirklich wichtigen Parameter.

Das gleiche gilt für das Cardiotraining. Egal, ob du mit dem Rad fährst, gehst oder läufst: Schaffst du es noch zu trainieren, ohne eine Zeit schlagen zu müssen? Kannst du dich voll auf die Tätigkeit konzentrieren, auf deinen Atem und dem Körper? Wie setzt du deine Füße auf? Welche Körperhaltung nimmst du ein? Auch hier können Notizen helfen. Natürlich kannst du auf die Uhr schauen, wenn du z. B. eine Stunde laufen möchtest. Versuche nur kein Wettbewerb daraus zu machen und achte mehr auf deinen Körper. 

Auch bei der Ernährung haben die Zahlen oftmals das Sagen. Egal, ob du Punkte, Kalorien, Kohlenhydrate oder die Stunden zählst, bis du wieder essen darfst. Sicherlich kann es schon mal ein Augenöffner sein, wenn du siehst, wie viel Kalorien du wirklich zu dir nimmst. Aber ändern wird sich dadurch nichts.

Es sind nicht die Zahlen, die uns Erkenntnis bringen, sondern ein Blick auf unsere Ernährungsgewohnheiten. Oder auf unser Verhältnis zum Essen. Anstatt in einer App die Kalorien zu tracken, könntest du dir besser ein Bewusstsein darüber verschaffen, was du isst und warum. Es geht dabei weniger um Verbote, als um eine Ehrlichkeit dir selbst gegenüber. 

Schreibe dir kurz auf, was du gegessen hast. Wie hast du dich gefühlt? Essen hat viel mit Emotionen zu tun. Werde dir über deine eigenen Emotionen dem Essen gegenüber klar. Was hast du gut vertragen und was nicht. Was könntest du anders machen? Wie könntest du deine Ernährung verbessern, ohne das du das Gefühl hast restriktiv sein zu müssen? 

Versuche deine Fitness ganzheitlicher zu erfassen. Zum gesunden Körper gehört auch ein gesunder Geist. Leistungszwang wirkt sich destruktiv auf deine Fitness aus. Einmal in der Quantifizierungsfalle sitzend, geben die Zahlen den Ton an. Und die halten dich in der Tretmühle der Optimierung gefangen – und aus der kommt keiner fit heraus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert