Trainingsrealismus

Realistisches Training ist etwas, was du im Internet mit der Lupe suchen musst.

Insbesondere wenn du dir die Posts, Videos und Pins in den sozialen Medien anschaust, sieht es so aus, als ob die meisten Hobbyathleten gestählte, biegsame Körper von unglaublicher Stärke und Ausdauer besitzen.

Letztens habe ich das Video einer Influencerin gesehen, die ihr Six-Pack grinsend in die Kamera streckt, aber ironischerweise gleichzeitig warnt, dass ja nicht jede Frau solche tollen Bauchmuskeln haben kann wie sie.

Während ich mit der eigentlichen Botschaft des Videos vollkommen übereinstimme (warum ein Six-Pack als Fitnessziel – insbesondere für Frauen – sogar gefährlich sein kann, erfährst du hier), senden die Bilder eine ganz andere Nachricht aus: Sie zeigen ein Ziel, das für viele unerreichbar bleibt.

Eine andere Influencerin zeigt in ihrem „Workout für Anfänger“ Yoga-Verenkungen, die zirkusreif sind. Nichts gegen Yoga, aber so eine Flexibilität, wie sie hier schon von Anfängern gefordert wird, werde ich bestimmt nie erreichen.

Genauso wenig werden die meisten von uns nicht die ausgeprägte Muskulatur eines der vielen angeblich „total naturalen“ Bodybuilder auf Instagram oder YouTube erzielen können.

Klar, schöne Körper und imposante Übungen sind eindrucksvoll. Viele Klicks und Likes generieren sie auf jeden Fall.

Doch was bleibt, wenn wir solche Inhalte konsumieren? Bestenfalls Neid und schlechte Laune, weil man selbst nicht so athletisch ist. Schlimmstenfalls ein gestörtes Körperbild.

Was uns fehlt ist mehr Realismus.

Realismus in Bezug auf dem, was wir mit unserem Fitnesstraining erreichen können und sollten. Aber auch mehr Realismus im Training selbst.

So attraktiv Trends, schwierige Übungen und beeindruckende Körper auch kurzfristig sein mögen: Auf Dauer wirst du mehr Freude an einem Training haben, das besser zu dir passt und einfach realistisch ist.

Mit folgenden drei Schritten kannst du einen realistischen Trainingsansatz für dich finden, damit du langfristig Spaß am Training hast.

Wir sind alle schwer beeindruckt von athletischen Leistungen. Und durch das Internet werden sie uns andauernd und in allen Disziplinen vor Augen geführt. Wer hat nicht einmal gedacht:

  • „Ich möchte auch mal einen Marathon schaffen.“
  • „So viel Muskeln hätte ich auch gerne.“
  • „Diese Yogastellung möchte ich auch beherrschen.“
  • „So schlank und durchtrainiert zu sein wäre toll.“

Es ist auch nichts gegen Schwärmerei zu sagen. Oder das wir versuchen einem Ideal näher zu kommen.

Nur leider vergessen wir dabei häufig, was wir wirklich brauchen, um in unserer derzeitigen Situation fitter, athletischer oder gesünder zu werden (oder zu bleiben).

Mit anderen Worten:

Was wir glauben zu wollen und was wir wirklich benötigen, sind manchmal zwei völlig verschiedene Dinge.

Als ich mich vor zehn Jahren aus Zeitgründen vom Fitnessstudio verabschiedet hatte, um mehr zu Hause zu trainieren, fing ich mit Calisthenics an. Plötzlich wollte ich akrobatische Übungen, wie Handstand, Muscle-Ups, und Planches beherrschen. Klar sehen solche Übungen toll aus – aber brauchte ich sie wirklich? War doch mein eigentliches Ziel einfach fit und gesund zu bleiben.

In Wirklichkeit sabotierte ich mich selbst. Ich habe „falsch“ trainiert, ohne es zu merken. Diese „Zirkusübungen“ zu erlernen machte mir noch nicht einmal viel Freude. Eigentlich war ich nur am Ergebnis interessiert, nicht am Training selbst. Ich trainierte fürs Ego.

Heute trainiere ich lieber mit einfachen Bodyweight-Übungen, die mir vollkommen ausreichen, ihren Job schnell und effektiv erledigen und mir mehr Spaß machen.

Vielleicht hast du dich auch schon einmal von Fitness-Trends oder vermeintlichen Motivationsvideos verleiten lassen etwas zu tun, was dir eigentlich gar kein Spaß macht? Hast du dein eigentliches Ziel aus den Augen verloren?

Oder hast du mal Trainingsgeräte gekauft, die du unbedingt haben wolltest, nur damit sie jetzt im Keller oder in der Garage Staub ansetzen?

Vor lauter kurzfristiger Motivation übersehen wir das große Ganze. Frage dich lieber, was du wirklich brauchst. Was ist für deine Fitness jetzt gerade das Wichtigste? Was möchtest du wirklich erreichen?

Für wen oder was willst du einen Handstand können, ein Six-Pack haben oder schlank sein? Für dein Ego? Weil du glaubst, dich dann besser zu fühlen? Trainierst du für die anderen, oder für dich selbst?

Grabe unter der Oberfläche. Ein „Weil es cool ist und gut aussieht“ gilt nicht.

Unsere Körper sind zum Statussymbol geworden. Aber mit dem Statussymbol kommt auch die Statusangst, der neidvolle Blick auf den Körper der anderen. Wir möchten auch gerne ein Stück vom Kuchen abhaben. Auch wenn Kuchen das letzte ist, was wir jetzt gerade essen sollten.

Hinterfrage in einem ersten Schritt deine Ziele gründlich und mache das, was du wirklich brauchst – nicht das, was du glaubst zu wollen.

Realistisches Training, Schritt 2: Sei weder motiviert, noch inspiriert

Sei weder motiviert, noch inspiriert

Wie in jedem Berufs- oder Gesellschaftszweig, gibt es auch im Bereich Social-Media einen bestimmten Jargon. Zwei Wörter, die immer wieder auftauchen sind „motivieren“ und „inspirieren“:

Warum ich Fitness-Influencer geworden bin? Um mehr Leute zu motivieren und zu inspirieren!“

Ist es motivierend für dich, wenn du einen Körper siehst, den du nie haben kannst? Ist es inspirierend für dich, wenn du athletische Leistungen siehst, die du nie erreichen wirst?

Sicherlich staunen wir alle gerne über Athleten auf Weltklasseniveau und ihr Können. Wir bewundern die Olympionikin mit der Goldmedaille. Aber sind wir inspiriert und motiviert gleich loszurennen und es ihnen gleichzutun? Wahrscheinlich nicht.

Keiner käme auf die Idee, dass du sofort Leistungssportler sein kannst. Doch im Internet ist es anders. Dort wirst du „motiviert“ und „inspiriert“.

Und das ist ein großes Problem.

Denn es suggeriert, dass jeder es schaffen kann schlank und muskulös zu sein. Das jeder einen Marathon unter 3 Stunden laufen kann, die schwierige Yoga-Stellung einnehmen kann, usw. Aber die Wahrheit ist: Für all dies gibt es keine Garantie. Selbst nach Jahren des Trainings nicht.

Das Internet verleitet darüber hinaus zu einem Training, das nicht für dich bestimmt ist. Schnell machst du etwas nach, was dich entweder kein Stück weiterbringt, oder im Extremfall sogar gefährdet.

Influencer kennen weder deine Lebensumstände, noch deinen Leistungsstand, deine Krankheitsbiografie etc. All dies würde ein guter Trainer beachten.

Ein Trainer bettet das Training immer in einem Kontext ein. Aber das Internet befähigt dich nicht zu Trainerentscheidungen, sondern will dich nur kontextlos motivieren und inspirieren.

Ein Beispiel: Der HIIT-Trend, das hochintensive Training. Kurze HIIT-Workouts findest du zuhauf auf allen Social-Media-Plattformen. Sie generieren viele Klicks, weil HIIT-Workouts trendy und kurz sind – und wir uns danach so fühlen, als hätten wir etwas getan. Wir schwitzen nach einer HIIT-Einheit so richtig schön und sind einfach fertig. Das muss ja was gebracht haben, oder?

Nein, hat es wahrscheinlich nicht. Für die meisten von uns ist (richtiges) HIIT viel zu intensiv und birgt viele Risiken. Es bringt auch relativ wenig für den Muskelaufbau oder Fettabbau (mehr zu den „Nebenwirkungen“ von HIIT kannst du hier lesen).

Wir haben nur den Eindruck gehabt, etwas für unseren Körper getan zu haben, auch wenn es nicht der Fall war. Trainingsrealismus ist das nicht.

Man könnte also sagen: Sei weder motiviert noch inspiriert.

Übernimm nicht alles was du im Internet siehst, ohne zu überprüfen, ob es zu dir und deinen (richtigen!) Fitness-Zielen passt. Nur weil du schwitzt und ausgepowert bist, war das Workout für dich noch lange nicht effektiv.

Versuche dich weder an Übungen, noch an Trainingsprogrammen, die dein Können überschreiten. Du musst auch nicht unbedingt HIIT machen, wenn du nicht willst. Oder schwere Gewichte heben. Oder einen Marathon laufen.

Dein Training sollte dich deinem Ziel näher bringen. Wenn es dir um Fitness, Muskelaufbau oder einen strafferen, schlankeren Körper geht, musst du keine komplizierten Übungen erlernen oder etwas machen, was dir eigentlich keinen Spaß macht.

Realistisches Training, Schritt 3: Vereinfache dein Training

Vereinfache dein Training

Unsere Tochter kam zu einem Zeitpunkt auf die Welt, als ich noch regelmäßig drei Mal die Woche ins Fitnessstudio ging. Zudem habe ich an zwei Tagen in der Woche auch abends gearbeitet. So kam es, dass ich unter der Woche abends nicht zu Hause war und meine Frau mit dem Baby unterstützen konnte.

So konnte es nicht weiter gehen. Meine Lebensumstände hatten sich geändert und verlangten nach einer Änderung meines Trainingsregimes. Also habe ich angefangen zu Hause zu trainieren. Und blieb dabei. Denn es war zeitsparender, weniger stressig und viel effektiver. Nicht zuletzt, weil ich regelmäßig und beständig trainieren konnte.

Vielfach erlauben es unsere Lebensumstände nicht, dass wir einen ausschweifenden Fitness-Lifestyle frönen. Wir sind halt keine Profisportler und haben alle noch andere Verpflichtungen. Wir brauchen ein Training, das wenig Zeit kostet, effektiv ist und Spaß macht.

Deshalb bin ich für Trainingsminimalismus, denn je weniger komplex und ausufernd dein Training ist, desto größer sind deine Erfolgschancen.

Warum? Weil garantiert immer etwas dazwischenkommt. So ist das Leben eben. Aber den richtigen Erfolg im Training, deine Fitness-Ziele, erreichst du nur durch Beharrlichkeit. Indem du stetig am Ball bleibst.

Es bringt nichts, wenn du nur ab und zu trainierst. Selbst wenn du dann an deine Grenzen gehst. Ein „hartes Training“ ab und an kannst du dir sparen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Trainiere lieber minimalistisch und etwas weniger ambitioniert. Nur so wirst du dranbleiben.

Der (nicht medienscheue) Professor Ingo Froböse von der Kölner Sporthochschule hat mir einmal den Tipp mitgegeben: „Trainiere so, dass du morgen das Training wieder absolvieren könntest.“

Und es stimmt. Ausufernde Trainingspläne unter höchster Anstrengung lassen sich nicht lange durchhalten. Wenn du wirklich Veränderung möchtest, dann musst du langfristig denken.

Hast du schon einmal eine To-Do-Liste für den Tag angelegt? Und wie viel davon hast du wirklich geschafft? Wenn du so bist wie ich (oder der überwiegende Teil der Menschheit), dann hast du höchstens ein Drittel erledigt bekommen.

Wir überschätzen vielfach das, was wir kurzfristig schaffen können und unterschätzen das, was wir langfristig schaffen. So ist unser Gehirn halt aufgebaut. Achte daher darauf, dass du dir weniger zumutest, als du glaubst zu schaffen.

Das gilt auch für dein Training. Unterschätze dich lieber. Trainiere minimalistisch. Für die meisten von uns ist – langfristig gesehen – nur ein minimalistisches Training auch ein realistisches Training.

Fazit

Das Internet vermittelt häufig ein schiefes Bild von dem, was ein realistisches Training wirklich ausmacht. Gerade im Fitnessbereich lassen wir uns gerne von Trends, Trainingsgeräten oder Influencern mit ihren tollen Körpern und unglaublicher Athletik ablenken.

Wir sollen „inspiriert“ und „motiviert“ werden. Keiner käme auf die Idee von jetzt auf gleich in den Leistungssport einzusteigen. Doch die Videos und Bilder, die uns da inspirieren und motivieren wollen suggerieren, dass auch wir mit dem „richtigen“ Training so athletisch, muskulös und schlank sein können.

Dabei gibt es dafür keine Garantie. Du könntest Jahre vergeuden, ohne wirkliche Ergebnisse zu sehen.

Sie lenken eher von dem eigentlichen Training ab, das dich weiterbringen würde. Sei also weder motiviert noch inspiriert von dem was du in den sozialen Medien siehst, sondern überlege dir genau was dein eigentliches Fitness-Ziel ist. Für wen oder was trainierst du wirklich?

Suche dir dann ein Training, das dich deinem Ziel näher bringt. Nicht weil es trendy ist, gut aussieht oder dir verspricht die einzig wahre Trainingsmethode zu sein. So etwas gibt es nämlich nicht.

Verlasse dich auch nicht auf Übungen, die du erst einmal langwierig erlernen musst, wenn du eigentlich nur fit, schlank oder etwas muskulöser werden möchtest. Dafür gibt es hier und jetzt schon Übungen und Workouts, die du ausführen kannst.

Vereinfache insgesamt dein Training. Denn je weniger komplex dein Trainingsregime ist, desto größer sind die Chancen, dass du langfristig am Ball bleibst. Denn im Leben kommt immer etwas dazwischen und wirft dich aus der Bahn.

Mute dir lieber etwas weniger zu, als du zu schaffen glaubst. Das gilt nicht nur für die Trainingshäufigkeit und Übungsauswahl, sondern auch für die Intensität. Denn Beharrlichkeit schlägt Intensität um Längen.

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