Calisthenics hat sich in den letzten Jahren zu einem regelrechten Fitnesstrend entwickelt. Wer frei von Hanteln und den Maschinen der Fitnessstudios trainieren möchte, findet schnell den Weg zu Calisthenics-Übungen. Denn das Internet und der Buchmarkt ist voll davon.
Wenn du aber trainierst, weil du Muskeln aufbauen möchtest – ist dann Calisthenics die richtige Wahl? Ist Calisthenics für dich und deine Fitnessziele geeignet, oder solltest du lieber anders trainieren?
Was genau unter Calisthenics verstanden wird, ist nicht immer so eindeutig. Häufig gehen hier die Begriffe durcheinander. Die einen verstehen darunter jegliche Art des Trainings mit dem eigenen Körpergewicht. Andere fassen wiederum Calisthenics als eine Art des Trainings auf, das sich hauptsächlich an gymnastische und akrobatische Übungen orientiert. Zudem gibt es noch Begriffe wie Street-Workout, Ghetto-Fitness, Knasttraining usw.
Ich möchte hier grundsätzlich zwei Varianten unterscheiden und nenne sie einfach Calisthenics und Bodyweight-Training. Während sich Calisthenics eher auf akrobatische und gymnastische Übungen (z.B. an Barren, Gymnastikringen und Turnstangen) spezialisiert, ist mit Bodyweight-Training das „klassische“ Heimtraining mit dem eigenen Körpergewicht gemeint. Also Liegestütze, Klimmzüge und Kniebeugen.
Calisthenics würde diese Übungen zwar auch im Trainingsplan integrieren, allerdings sind sie dort eher ein Grundlagentraining für komplexere Übungen, wie:
- Human Flags
- Muscle Ups
- Planches
- Handstand usw.
So musst du schon perfekt viele Klimmzüge und Dips beherrschen, bevor du dich überhaupt an Muscle Ups probieren kannst.
Um diese typischen Calisthenics-Übungen zu meistern ist viel Training erforderlich. Denn Calisthenics erfordert ein großes Maß an Fertigkeit. Im Englischen würde man sagen, es sei „skill based“.
Aber wer die Übungen beherrscht, der besitzt meistens auch einen athletischen Körper. Schau dir einfach mal Videos von Leuten auf YouTube an, die Muscle Ups machen, oder alle möglichen Varianten von Planches. Meistens sind es – so nannte man es früher zumindest – sehr drahtige Gestalten. Also recht schlanke, aber sehr durchtrainierte Menschen. Die wenigstens sind massige „Monster“, wie du sie aus dem Bodybuilding kennst.
Das hat natürlich gute Gründe. Denn Muskeln wiegen ziemlich viel. Wenn du aber deinen Körper in Positionen bringen möchtest, die scheinbar die Schwerkraft überwinden, dann ist ein schwerer, massiger Körper das letzte was du willst.
Calisthenics-Profis haben also ein ganz anderes Ziel als Bodybuilder. So wie jeder andere Sportler einer anderen Sportart auch.
Und das ist der Punkt, der anscheinend häufig verwechselt wird: Calisthenics ist eher eine Sportart und kein Trainingskonzept. Was ich damit meine ist, dass Calisthenics (jedenfalls so, wie ich es oben definiert habe) vielleicht eher eine „Straßenversion“ von Gymnastik darstellt und nicht ein Programm für allgemeine Fitness und Muskelaufbau. Das Calisthenics zu Muskelaufbau führt ist zwar dem Training geschuldet, aber eher sekundär. Form follows function.
So gibt es auch viele andere Sportarten, die zu einem athletischen Körper führen, wie eben Gymnastik, aber auch Leichtathletik, Eisschnelllauf usw. Deine Erwartungshaltung sollte also eine andere sein: Trainiere nicht Calisthenics, weil du erwartest damit Muskeln aufbauen zu können, sondern weil du Spaß an der Sportart hast.
Wie in jeder anderen Sportart, gibt es auch hier Leute, die besser für Calisthenics gebaut sind als andere. So wie ein kleiner Basketballspieler oder ein schmalschultriger Schwimmer wahrscheinlich nie Olympia-Niveau erreichen, so werden sich schwere, breite und besonders große Menschen mit Calisthenics schwer tun.
Aber auch andere Aspekte spielen eine Rolle. Zum Beispiel wie beweglich du bist. Wenn die Mechanorezeptoren deinem Hirn melden, dass deine Beinbeuger nicht noch mehr gestreckt werden sollten, weil sonst Unfallgefahr besteht, dann kommst du einfach nicht im Stehen vorgebeugt mit den Händen auf dem Boden. So einfach ist das. Bei vielen hilft selbst kein statisches Dehnen.
Wenn du mit Calisthenics beginnst und schnell Fortschritte siehst, dann hast du wahrscheinlich einfach die richtige Genetik: Schlank, durchtrainiert und flexibel.
Ein Bekannter, der dieser Genetik entspricht und zudem eine anständige Stabilität in der gesamten Rumpfmuskulatur mitbrachte, hat sich einmal in kürzester Zeit die Human Flag angeeignet. Also die Übung aus dem akrobatischen Bereich, bei der du quasi deinen Körper wie eine Flagge an einem Mast presst. Dabei achtete er noch nicht einmal auf die angeblich so wichtigen Progressionsschritte, sondern probierte die Übung einfach aus.
Eine andere Form des Trainings, das manchmal irritierenderweise auch als „Calisthenics“ bezeichnet wird, ist das Bodyweight-Training. Ich verstehe darunter ein Training ohne athletische oder akrobatische Übungen. Eben kein Muscle-Up, Planche, oder Handstand. Stattdessen die guten, alten „old-school“ Eigengewichtsübungen wie Liegestütze, Kniebeugen, Klimmzüge usw.
Die Grenzen sind natürlich fließend. Wo wäre zum Beispiel ein Pistol Squat (eine einbeinige Kniebeuge) einzuordnen? Dafür ist auch schon einiges an Beweglichkeit erforderlich, die am akrobatischen Bereich grenzt.
Trotzdem haben die old-school Übungen einen großen Vorteil: Du brauchst weder eine bestimmte Genetik noch viel Fertigkeit, um sie zu erlernen. Wohingegen Calisthenics erst dort anfängt, wo Bodyweight-Training aufhört.
Zudem sparst du viel Zeit, da du dir die ganzen Progressionsstufen hin zu einer schwierigen Übung sparst. Du kannst einfach trainieren – so wie du es aus dem Hantel- und Maschinentraining gewohnt bist – ohne zunächst eine sehr steile Lernkurve bewältigen zu müssen. Denn die einfachen Bodyweight-Übungen wie Liegestütze, Kniebeugen und Klimmzüge (oder Rudern) lassen sich wunderbar an deinem individuellen Trainingsniveau anpassen. Versuche das einmal mit einem Muscle-Up…
Natürlich spricht auch nichts dagegen, dass du beides trainierst. Also Calisthenics und Bodyweight-Training. So könntest du beispielsweise an drei Tagen in der Woche ein Muskelaufbautraining mit dem eigenen Körpergewicht einplanen und an zwei Tagen eine bestimmte Fähigkeit aus dem Calisthenics-Bereich erlernen.
Du darfst nur nicht erwarten, dass so ein Hybrid-Training dir schnelle Ergebnisse für die Calisthenics-Übungen einbringt. Besonders dann nicht, wenn du nicht die richtige Genetik dafür besitzt (siehe oben). Die Bodyweight-Übungen sind, wie gesagt, eher die Grundlagen für ein Calisthenics-Training. Und wenn du „nur“ an Muskelaufbau und Fitness interessiert bist, reicht ein Bodyweight-Training vollkommen aus.
Fazit
Wenn es dir alleine um Fitness und Muskelaufbau geht und dein Heimtraining das Fitnessstudio ersetzen soll, dann ist ein klassisches, old-school Bodyweight-Training mit Liegestütze, Klimmzüge und Kniebeugen vielversprechender als Calisthenics. Sie lassen sich deinem Trainingsniveau anpassen und erfordern kein langes Üben.
Calisthenics setzt eher auf akrobatische und athletische Übungen, die weit über das einfache Niveau des Bodyweight-Training hinausgehen. Calisthenics ist daher eher als eine Sportart anzusehen, die viel Fertigkeit und Übung voraussetzt. Sie ist kein Trainingskonzept, das du einfach so ausführen kannst.
Wie bei allen Sportarten, gibt es Leute denen liegt Calisthenics mehr als anderen. Insbesondere wenn du die richtige Genetik hast, wirst du schneller Erfolge erzielen.
Falls du dich eher für Bodyweight-Training interessierst, weil du Muskeln aufbauen und einfach fit sein möchtest, dann schau dir doch die folgenden Beiträge an: