Egal ob du 25 bist oder 65: Muskelaufbau und Muskelerhalt sind wichtig. Nicht nur damit du gut aussiehst. Es hält dich auch fit, stärkt und unterstützt die Gelenke, verbessert deine Körperhaltung und schützt vor Rückenschmerzen und vielen westlichen Zivilisationskrankheiten.
Das scheinen die meisten schon längst verstanden zu haben. Spätestens zu Beginn der Coronapandemie konnte man dies feststellen. Die Fitnessstudios waren zwar geschlossen, aber neben Klopapier und Nudeln gab es auch keine Hanteln mehr zu kaufen.
Was viele jedoch nicht glauben (sonst hätten sie keine Hanteln gekauft): Auch ohne externe Gewichte kannst du wunderbar Muskeln aufbauen. Einfach mit dem eigenen Körper und der Schwerkraft. Du musst nur wissen wie.
Eine interessante Methode für den Muskelaufbau mit dem eigenen Körpergewicht ist das Leiter-Training, das ich dir im Folgenden vorstellen möchte. Es spart nicht nur Zeit, sondern ist auch unglaublich effektiv.
Meiner Erfahrung nach ist gerade für den Muskelaufbau mit dem eigenen Körpergewicht das Trainingsvolumen von entscheidender Bedeutung. Bis zu einem bestimmten Punkt stimmt die Formel:
Mehr Volumen = besserer Muskelaufbau
Jedoch je mehr du trainierst, desto weniger Zeit zur Regeneration bleibt dir und desto schneller kommst du ins Übertraining. Wie lösen wir das Problem?
Eine elegante Lösung ist der Einsatz von Trainingsleitern.
Damit meine ich weder eine Leiter, wie du sie im Baumarkt findest, noch eine Koordinationsleiter, wie sie im Fitnessfachhandel verkauft wird, sondern eine äußerst effiziente Trainingsmethode:
Du trainierst mit einer einer Reihe von Trainingssätzen mit kurzen Pausen und auf- oder absteigenden Wiederholungszahlen bei gleichbleibenden Widerstand.
Klingt kompliziert? Ist es aber nicht. Schauen wir uns das in der Praxis an.
Sagen wir, du möchtest deinen Oberkörper mit Liegestütze trainieren. Liegestütze sind ein wunderbarer Allrounder. Sie trainieren nicht nur deine Brustmuskeln, sondern auch die Schulter, den Trizeps, Teile deiner Rückenmuskulatur und sogar die tieferliegende Bauchmuskulatur (ein Liegestütz ist ja im Grunde nichts anderes als ein dynamischer Frontstütz – neudeutsch auch „Plank“ genannt).
Selbst wenn du ohne Probleme 15 bis 20 „normale“ Liegestütze schaffst (natürlich in guter Form und langsam, ohne Schwung), würde ich dir empfehlen eine Stufe niedriger zu starten, wenn du das Leiter-Training ausprobieren möchtest.
Also anstatt „normale“ Liegestütze auf dem Boden machst du leicht erhöhte Liegestütze auf Kniehöhe (z. B. auf einem Couchtisch). Wenn das auch zu anspruchsvoll ist, kannst du auf leichteren Varianten ausweichen und auf Hüfthöhe (ein Esstisch, oder eine Arbeitsplatte in der Küche) oder auf Brusthöhe (Liegestütze an einer Wand oder auf einer hohen Kommode) trainieren. Hier ein kleines Video mit verschiedenen Varianten:
Hast du deine Übungsvariante gefunden fängst du mit der Leiter an:
- Zuerst machst du nur eine Wiederholung und pausierst danach kurz für ein bis zwei volle Atemzüge.
- Dann machst du zwei Wiederholungen und pausierst wieder kurz.
- Dann machst du drei Wiederholungen und pausierst wieder kurz.
- etc.
Nach jeder kurzen Pause machst du also im darauf folgenden Trainingssatz eine Wiederholung mehr als zuvor. Das wäre eine aufsteigende Leiter. Du brichst die aufsteigende Leiter erst dann ab, wenn du dir sicher bist, dass du den folgenden Trainingssatz nicht mehr komplett ausführen könntest.
Je nachdem wie hoch du die Leiter erklimmst, kann es sein, dass deine Kondition nachlässt, bevor deine Muskeln ermüden. Wenn du merkst, dass du anfängst zu schnaufen und der Puls hochgeht, kannst du die Pause um jeweils einen Atemzug erhöhen. Es ist jedoch wichtig, die Pause weiterhin so kurz wie nötig zu halten (unter 30 Sekunden solltest du schon bleiben).
Wie schon erwähnt, ist das Trainingsvolumen ein wichtiger Faktor für das Muskelwachstum. Mit der Leiter-Methode erhöhst du dein Trainingsvolumen ungemein, ohne dass du viel Zeit investieren musst.
Machst du eine aufsteigende 10er Leiter (erst eine Wiederholung, Pause, zwei Wiederholungen, Pause, usw. bis 10 Wiederholungen), dann sind das immerhin 55 Wiederholungen. Bei einer 15er Leiter sind es aber schon 120 Wiederholungen!
Vergleichen wir das mit drei normalen Sätzen Liegestütze à 20 Wiederholungen, so sind wir mit einer 15er Leiter bei dem doppelten Volumen angelangt.
Laut der Trainingstheorie wachsen deine Muskeln nur, wenn du die höherschwelligen motorischen Einheiten der Muskulatur ansprichst. Das sind die jeweils innervierten Muskelfasern eines einzelnen Motoneurons, die erst angesprochen werden, wenn du dich besonders stark anstrengst.
Auch dafür ist im Leitertraining gesorgt: Mit jedem zusätzlichen Satz werden mehr und mehr höherschwellige motorische Einheiten angesprochen.
Und durch die kurzen Pausen können sogar noch besser Stoffwechselendprodukte abgebaut werden, als bei normalen Trainingssätzen. So kannst du sicher sein, dass nicht deine Kondition der Abbruchfaktor deines Trainings ist, sondern tatsächlich die muskuläre Erschöpfung.
Die Leiter-Methode hat mehrere Vorteile gegenüber normalen Trainingssätzen. Insbesondere für das Training mit dem eigenen Körpergewicht.
Wenn du zu Hause Bodyweight-Übungen machst, dann kannst du nicht einfach das Gewicht erhöhen, wie es im Hantel- oder Maschinentraining möglich wäre. Das ist aber kein Nachteil – nur sind wir es so vom Fitnessstudio her gewöhnt.
Wenn du zu Hause mit dem eigenen Körpergewicht trainierst, hast du andere Stellschrauben: Entweder machst mehr Wiederholungen, oder du erhöhst willentlich die Spannung auf die Muskulatur. Schließlich kannst du noch eine schwierigere Übungsausführung wählen (z. B. Liegestütze auf Kniehöhe anstatt auf Hüfthöhe ausführen). Das sollte aber immer erst der letzte Schritt sein.
Mit der Leiter-Methode kannst du schnell das Trainingsvolumen steigern. Dadurch, dass du viele Wiederholungen machst und immer wieder mit vielen „frischen Wiederholungen“ beginnst (die ersten Sätze des Leiter-Trainings sind sehr einfach), kannst du dich viel besser auf die Kontraktionen deiner Zielmuskulatur konzentrieren.
Du verbesserst quasi das, was oft als „mind-muscle-connection“ bezeichnet wird. So lernst du schnell die Spannung willentlich zu erhöhen (hier mehr dazu) und machst schneller Fortschritte.
Trotz des hohen Volumens ist es sehr schwer mit dem Leiter-Training – und Körpergewichtsübungen generell – ins Übertraining zu geraten. Du wirst auch merken, dass du am Ende einer Leiter nicht so platt bist, wie zum Beispiel nach einem hochintensiven Intervalltraining. Für den Muskelaufbau ist die Leiter-Methode (und auch die „normale“ Satz-Methode) dem Intervalltraining sowieso weitaus überlegen (mehr dazu hier).
Ein nicht zu verachtender Vorteil ist auch der Zeitgewinn. Für das gleiche Trainingsvolumen mit normalen Trainingssätzen und Pausen würdest du weitaus mehr Zeit opfern müssen, als mit der Leiter-Methode.
Außerdem kannst du dir in vielen Fällen das Aufwärmen sparen. Die ersten Sätze der jeweiligen Übung dienen dem Aufwärmen und dem „Aufwecken“ der neuronal-muskulären Strukturen.
Wenn du die einfache, aufsteigende Leiter einige Zeit ausprobiert hast und gut damit klarkommst, kannst du anfangen die Methode zu variieren. Einerseits findest du so für dich deinen „sweet spot“ (also das Training, das für dich persönlich optimal ist), und andererseits macht Abwechslung ja auch Spaß. Variatio delectat.
Hier sind einige Varianten der Leiter-Methode, die ich ausprobiert habe:
1. Auf- und absteigende Leiter
Bei dieser Variante schließt du direkt nach einer aufsteigenden Leiter ein absteigende Leiter an. Sagen wir, dass du eine 15er Leiter machst, dann sehen die Trainingssätze wie folgt aus:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 14, 13, 12, 11, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1
Das ist eine Menge Volumen (225 Wiederholungen)! Sei also vorsichtig, wenn du diese Variante ausprobierst. Du solltest dich schon an die normale, aufsteigende Leiter gewöhnt haben, sonst gibt es einen starken Muskelkater!
2. Mehrfache Leiter
Für die mehrfache Leiter machst du (wäre hätte es gedacht) mehrere Leitern hintereinander. Bei einer zweifachen 10er Leiter sehen die Sätze so aus:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10
Der große Vorteil dieser Variante: Nachdem du die Muskeln mit der ersten Leiter ordentlich erschöpft hast, beginnt die zweite Leiter wieder bei nur einer Wiederholung. So kannst du dich ein wenig erholen. Ein gutes Erschöpfungsmanagement und psychologisch wesentlich angenehmer, als die erste Variante, obwohl das Volumen identisch ist.
Der Nachteil gegenüber der ersten Variante besteht darin, dass du hier wahrscheinlich weniger Sätze dabei hast, die die höherschwelligen motorische Einheiten ansprechen. Ob das aber im Endeffekt wirklich etwas ausmacht, musst du selbst ausprobieren.
3. Wellen-Leiter
Die Wellen-Leiter überspringt einige Sätze der auf- und absteigenden oder mehrfachen Leiter, wiederholt sich aber dafür. Hier ein Beispiel:
2, 4, 6, 8, 10, 8, 6, 4, 2 (auf- und absteigende Welle)
oder 2, 4, 6, 8, 10, 2, 4, 6, 8, 10 (mehrfach aufsteigende Welle)
Vielleicht leide ich ja an einer leichten Zwangsstörung, aber mir fehlen bei der Wellen-Leiter die ausgelassenen Sätze. Ich steige lieber Zahl für Zahl auf 😉 Nicht zuletzt, um mich besser aufzuwärmen und die Muskeln neuronal besser ansteuern zu können.
Nichtsdestotrotz kann auch die Wellen-Leiter innerhalb eines komplexeren Trainingsplanes durchaus Sinn machen. Ich kann mich daran erinnern, dass Mark Lauren („Fit ohne Geräte“) häufig eine Wellen-Leiter in seinen Muskelaufbauprogrammen benutzte (bevor er nur noch komische Yoga-Verrenkungen machte – nix gegen Yoga, aber das hat wenig mit Muskelaufbau zu tun).
4. Rest-Pause-Leiter
Rest-Pause ist eine Intensitätstechnik des Bodybuildings. Eigentlich wird sie am Ende eines normalen Trainingssatzes angeschlossen. So könntest du zum Beispiel nach einem Satz Liegestütze eine kurze Pause machen, um dann wieder 5 Wiederholungen anzuschließen. So fährst du fort, bis du keine vollen 5 Wiederholungen mehr schaffst.
Rest-Pause lässt sich auch hervorragend mit der Leiter-Methode kombinieren: Du machst erst deine normale, aufsteigende Trainingsleiter um dann, nach einer sehr kurzen Pause, eine vorher festgelegte Zahl an Wiederholungen anzuschließen. Erst, wenn du diese Wiederholungszahl nicht mehr erreichst, brichst du die Übung ab. Beispiel mit einer 10er Leiter und 5 Rest-Pause-Wiederholungen:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 5, 5, 5, 5, 3 (hier wird die Übung abgebrochen)
Die Rest-Pause-Leiter ist sehr effektiv und anstrengend. Verwende sie nicht zu viel, sondern eher als „Geheimwaffe“, z. B. wenn die Fortschritte ausbleiben.
Hier ein kleiner Trainingsplan für den Einstieg ins Training mit der Leiter-Methode. Wenn du noch nie nach dieser Methode trainiert hast, ist es wichtig, dass du dir am Anfang nicht zu viel zumutest.
Daher würde ich die Anzahl der Übungen auf ein Minimum beschränkt: Eine Druck- und eine Zugübung, sowie Kniebeugen, z. B.:
A) Eine Liegestütz-Variante (10er bis 12er Leiter, aufsteigend)
B) Eine Klimmzug-Variante (10er bis 12er Leiter, aufsteigend)
C) Tiefe Kniebeugen mit Unterstützung (13er bis 15er Leiter, aufsteigend)
Es empfiehlt sich mit höchstens zwei Leitern pro Trainingseinheit zu starten. Ich empfehle daher ein Oberkörper- Unterkörpersplit. D. h. du trainierst an einem Tag die Übungen A) und B), an einem anderen Tag die Übung C). Dann wiederholst du alles wieder.
Die Leiter-Methode ist mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss. Trotzdem ist sie eine effektive und effiziente Methode für den Muskelaufbau mit dem eigenen Körpergewicht. Probiere es einfach aus. Da kann keiner mehr sagen, dass du die Muskeln ohne zusätzliche Gewichte nicht ausreichend erschöpfen kannst!