Clean Eating

Clean Eating vereint alle Ernährungsformen. Ob du Vollwertköstler bist, dich nach der Paleo- oder der Low-Carb-Diät ernährst – oder vielleicht Veganer bist: Wenn du dich gesund ernähren möchtest, dann isst du am besten „clean“. Doch was bedeutet Clean Eating überhaupt?

Clean Eating ist nichts anderes als eine bedeutungslose Worthülse. Ein Lippenbekenntnis zur „gesunden Ernährung“. Warum Clean Eating aber gar nicht gesund sein kann – und vielleicht sogar schädlich für dich ist – versuche ich in diesem Artikel zu erläutern.

Eine Suche auf Amazon verrät mir, dass es mehr als 10000 Titel zum Thema Clean Eating gibt. Anscheinend kannst du mit Clean Eating „gesünder leben“, es bringt dir „ein neues Lebensgefühl“, es hilft dir dabei „langfristig abzunehmen“ und allgemein „fit“ zu werden. Das sind zumindest die Versprechen der Buchtitel.

Zudem gibt es Rezeptbücher mit „Clean Eating“-Rezepten für die vegetarische und vegane Küche, für Paleo und Low-Carb, sowie Low-Fat und High-Protein! Wahnsinn!

Also vollkommen egal welche Ernährungsweise du magst, wir können uns alle am Lagerfeuer treffen und Kumbaya singen. Und das trotz all der Differenzen zwischen veganen Pflanzenessern und Paleo-Fleischvernichtern. „Clean Eating“ macht’s möglich.

Doch was ist Clean Eating überhaupt? Was kann so unterschiedliche Ernährungsweisen unter einem Hut zusammenbringen?

Clean Eating hat keine objektive Definition

Und hier wird es schon mysteriös. Während beispielsweise der Vegetarier doch auf Fleisch verzichtet und der Veganer auf alle tierische Produkte, landet bei Low-Carbern und Paleo-Jägern das Steak auf dem Teller. Doch alle essen „clean“? Wie ist das möglich?

Ganz einfach: Clean Eating hat keine objektive Definition.

Während der Veganer Fleisch absolut nicht als „clean“ bezeichnet, dafür aber Kohlenhydrate wie Getreide, ist es bei der Paleo-Diät genau umgekehrt (keine Ahnung wie es sich mit den Paleo-Veganern verhält. Ja, die gibt es auch).

Aber was keine objektive Definition hat, lässt sich auch nicht objektiv messen. „Clean Eating“ entzieht sich einer genauen Betrachtung. Die Aussage „Clean Eating ist gesund“ kann also nichts anderes sein, als eine pure Behauptung.

Die einzige Übereinstimmung, die ich erkenne, ist diese: Alle trendigen Ernährungsformen teilen unsere Lebensmittel in gut und schlecht ein.

Ist Clean Eating Vollwertkost?

Vielleicht bin ich auch einfach zu streng und du wirst sagen: „Ist doch klar, was Clean Eating heißen soll. Mehr Obst und Gemüse, weniger Junk Food.“ Das klingt für mich nach einem anderen Begriff, den es schon länger gibt. Nämlich der guten alten Vollwertkost.

Ist Clean Eating also Vollwertkost? Eine vollwertige Ernährung ist laut DGE „die Basis für bedarfsgerechtes, gesundheitsförderndes Essen und Trinken“. So weit, so gut. Ich glaube, das könnte jeder unterschreiben. Wer will sich nicht nach seinem Bedarf und gesundheitsfördernd ernähren.

In den von der DGE aufgestellten 10 Regeln für die vollwertige Ernährung finden sich aber weder Veganer (Milchprodukte täglich! Fleisch erlaubt!) noch Low-Carber oder Paleo-Esser (Brot, Nudeln, Reis und Mehl!) wieder. Also kann Clean Eating in diesem Sinne auch keine Vollwertkost sein.

Vielleicht wirst du jetzt einwenden: „Clean Eating meint eben eine gesunde Ernährung aus naturbelassenen Lebensmitteln, die nicht industriell verarbeitet wurden.“ Das wäre tatsächlich eine gute Definition. Denn sie würde alle Ernährungsformen vereinen können. Könnte Clean Eating der Verzicht auf verarbeitete Lebensmittel meinen?

Möglich. Doch das Stichwort hier ist „gesund“. Clean Eating will ja eine gesunde Ernährungsform sein. So viel steht fest. Das würde also im Umkehrschluss heißen, dass industriell verarbeitete Lebensmittel ungesund sind, oder?

Sind verarbeitete Lebensmittel ungesund?

Junk Food
Stark verarbeitet – aber lecker

Was heißt denn überhaupt verarbeitet? Darunter sind verschiedene Maßnahmen zu verstehen, z.B. waschen, mahlen, kühlen, lagern, fermentieren, filtern, trocknen, erhitzen, verpacken.

Vieles, was du als Konsument gar nicht als „verarbeitetes Lebensmittel“ wahrnimmst, ist in der Tat stark verarbeitet. Zum Beispiel sind schon viele der oben genannten Maßnahmen an der Produktion eines Brotes beteiligt. Ist Brot also ungesund?

Die Veganer und Vollwertköstler schütteln jetzt den Kopf, die Paleo-Jäger und Low-Carber nicken.

Schon römische Legionäre schleppten schwere Mahlsteine mit über die Alpen, damit sie unterwegs ihr „stark verarbeitetes“ Brot backen konnten. Warum wohl?

Weil verarbeitete Lebensmittel viele Vorteile mit sich bringen. Wie leben in der westlichen Welt im Lebensmittelüberfluss und haben anscheinend vergessen, warum wir überhaupt damit angefangen haben unsere Lebensmittel zu verarbeiten.

Viele Verarbeitungsprozesse erlauben uns überhaupt erst ein bekömmliches Lebensmittel herzustellen:

  • Lebensmittel werden dadurch von Giftstoffen und tragen zur Lebensmittelsicherheit bei.
  • Nährstoffe werden dadurch erst erschlossen und bioverfügbar.
  • Verarbeitungsprozesse machen Lebensmittel erst haltbar.
  • Lebensmittel werden durch die industrielle Produktion preiswerter, so dass sich mehr Menschen die Lebensmittel leisten können.

Wir können also nicht sagen, dass verarbeitete Lebensmittel per se schlecht sind. The devil is in the details. Es mag sein, dass deine Frühstücksflocken stark verarbeitet, aber „gesund“ sind. Es kann aber genauso gut sein, dass sie einen Stoff enthalten, der vielleicht bedenklich ist, falls du ihn jeden Tag in großen Mengen verzehrst. Who knows!

Verarbeitete Lebensmittel sind also nicht „ungesund“. Nur ungesund ist ungesund. Oder übertragen auf Clean Eating (was auch immer das jetzt sein mag):

Clean Eating ist nicht gesund. Nur gesund ist gesund.

Clean Eating ist Rhetorik

Können Lebensmittel wirklich „clean“, also „sauber“ sein? Was wäre das Gegenteil? Etwa schmutziges Essen?

Was ist schmutzig daran, wenn ich mich zu einem gemeinsamen Essen beim Italiener um die Ecke treffe, bei Kerzenschein, einer Pizza und einem Glas guten Wein? Ist Clean Eating gleichzusetzen mit Anti-Genuss?

Zunächst einmal ist Clean Eating Rhetorik. Die Geschichte ist voll von der Dichotomie etwas als „rein“ und „sauber“ oder „unrein“ und „schmutzig“ zu bezeichnen. Und immer hatte es nur einen Zweck: Sich selbst von anderen abzugrenzen. Die eigene Überlegenheit zu demonstrieren.

Wer sich „clean“ ernährt ist gesünder, leistungsfähiger, fitter. Die anderen sind ungesund, übergewichtig, faul. Ein Abgrenzen von denen, die sich „schmuddelig“ ernähren, die nicht rein sind. Das hat schon geradezu etwas Religiöses. Ein Sich-Rein-Waschen von den „Sünden“ der ungesunden Ernährung.

Gibt es überhaupt Lebensmittel, die „clean“ sind?

Pizza
Ist Pizza „clean“?

Dabei ist schwer zu sagen, welche Lebensmittel überhaupt als „clean“ bezeichnet werden. Nehmen wir als Beispiel die Pizza vom Italiener. Auf der Pizza finden wir Tomaten und Käse. Der Teig selbst ist aus Weißmehl. Schauen wir uns die Zutaten genauer an:

Tomaten gelten allgemein als gesund. Bei dem Käse wird es schon schwieriger. Der Vegetarier würde ihn essen, der Veganer nicht. Er hat viel gesättigte Fettsäuren, die potentiell zu Herzkrankheiten führen können. Aber andererseits viel Calcium. Wer sich an die 10 Regeln der DGE hält, könnte Käse sogar täglich essen.

Der Teig aus Weißmehl gilt als „leere Kalorien“, denn er enthält wenig Nährstoffe. Dafür versorgt er den Körper aber mit Energie in Form von Kohlenhydrate. Die Lieblingsenergie des Körpers. Und ist dazu noch besser verdaulich als das vitaminreiche Vollkorn. Es sei denn, du gehörst zu den 1%, die unter einer Glutenintoleranz leiden.

Was also „clean“ ist, liegt im Auge – oder besser: Verdauungssystems – des Betrachters. Was der eine gut verträgt, kann bei dem anderen zu Gesundheitsproblemen führen.

Clean Eating verursacht Schuldgefühle

Und was ist jetzt mit der Pizza? Ist sie gesund oder nicht? Gegenfrage: Willst du gerne auf Pizza verzichten? Wir leben in einer Umwelt, die uns vor einer schier endlosen Auswahl von schmackhaften Speisen stellt. An jeder Ecke ein Supermarkt und ein Schnellimbiss. Das reinste Schlaraffenland – und doch wollen wir zurück in die Wüste. Während alle, die in der Wüste sitzen, wieder gerne ins Schlaraffenland wollen.

Nehmen wir mal an, du würdest dich „clean“ ernähren. Was auch immer das für dich heißen mag. Wie lange könntest du das unter diesen Schlaraffenland-Bedingungen wohl aushalten? Wahrscheinlich nicht lange.

Ernährungsrestriktionen funktionieren langfristig nie. Klar kannst du dich für einige Wochen zusammenreißen und „total clean“ essen. Aber länger wirst du nicht auf Pizza oder Schokolade etc. verzichten können.

Restriktionen führen langfristig nur zu Schuldgefühlen. Denn früher oder später wirst du garantiert etwas essen, was nicht „clean“ ist. Und dann kommen die Selbstvorwürfe.

Und wenn du glaubst, du könntest dich davon losmachen, weil du dir ein „Cheat-Meal“ pro Woche erlaubst – dann muss ich dich enttäuschen. Dein Mindset entscheidet. Und so lange dein Mindset noch immer Lebensmittel in „gut“ oder „schlecht“, „clean“ oder „unclean“ einteilt, wird sich daran nichts ändern.

Es ist genau dieser Mindset aus dem eine Orthorexie entsteht – ein krankhaftes Gesundessen. Zwar wird noch darüber diskutiert, ob es sich bei einer Orthorexie um eine Zwangsstörung handelt, aber eines ist gewiss: Orthorexie ist deiner Psyche keinesfalls förderlich.

Clean Eating ist Marketing

Wenn du „Clean Eating“ in Google eingibst, dann führt einer der ersten Treffer zu einer Website eines Nahrungsmittelkonzerns. Und zwar zu einem der weltgrößten Konzerne – der ständig unter Kritik steht. Das verwundert doch ein wenig, oder? Das gerade ein Lebensmittelgigant uns die Vor- und Nachteile des Clean Eatings näherbringen möchte?

Eigentlich nicht – denn Clean Eating ist nichts anderes als ein weiterer Trend, der für das Marketing ein gefundenes Fressen darstellt. Auch wenn keiner eigentlich genau weiß, was Clean Eating ist, lässt sich damit wunderbar Geld verdienen. Gib einer Ernährungsform einen Namen und schon kannst du Bücher, Kurse, Rezepte und Lizenzen dazu verkaufen.

Die Rezepte und Bücher mögen ja sogar gut sein – aber uns sollte klar sein, dass „Clean Eating“ einfach nur ein Verkaufsargument ist. Mit dem Buchtitel „leckere, gesunde Rezepte“ fällt man auf Amazon nicht auf.

Das ist alles nicht schlimm – ich mache mich auf dem Blog bestimmt auch nicht frei von Clickbait – doch es wird dann problematisch, wenn du glaubst, dass ein Lifestyle- und Marketingtrend wirklich gut für deine Gesundheit ist.

Fazit

„Clean Eating“ ist so erfolgreich, weil es eine einfache Antwort auf ein komplexes Thema bietet. Wir haben Angst vor Herzkrankheiten, Diabetes und allen anderen Krankheiten, die im Zusammenhang mit unserer Ernährung stehen.

Hinzu haben viele das Gefühl, dass man den Ernährungswissenschaften angeblich nicht trauen kann („erst war Fett schlecht, dann Kohlenhydrate“). Wenn in Wirklichkeit das eigentliche Problem darin besteht, dass die Kommunikation über die Ernährung einfach zu plakativ ist. Ernährungsgurus liefern einfache schwarz-weiß-Bilder – weil sie sich verkaufen lassen.

„Clean Eating“ ist eine Worthülse ohne Bedeutung. Mit einer gefährlichen Rhetorik, denn sie unterscheidet in „reine“ und „unreine“ Lebensmittel. Genau diese Denkweise führt aber zu Ernährungsrestriktionen und Gesundheitsstress! Mit „ernähre dich möglichst abwechslungsreich und iss das, was für dich bekömmlich ist“ lässt sich kein Lifestyle-Trend erschaffen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert