Ernährungstipps

Weißt du noch, was du essen sollst? Wenn ja, dann herzlichen Glückwunsch. Denn du gehörst zu den wenigen Personen, die sich von der Meinungsmache in Sachen Ernährung nicht beeinflussen lassen.

Und wenn nicht, dann willkommen im Club. Ernährung ist scheinbar verdammt kompliziert geworden. Fast täglich geistern neue Ernährungstipps durch die Medien. Mal sind Eier gesund – mal ungesund. Das Gleiche gilt für Fette und Kohlenhydrate. Es ist ein regelrechter Ernährungsstress. Dabei wolltest du nur deine Ernährung umstellen und endlich gesund leben.

Während sich die einen verzweifelt dem Stress aussetzen und jeden Ratschlag hinterherhecheln, geben die anderen direkt auf – und gehen in die nächste Pizzeria.

Wie kommt es denn zu so unterschiedlichen Ernährungstipps? Und was können wir denn noch glauben, wenn wir nicht direkt den Aluhut aufsetzen und Verschwörungstheoretiker werden wollen?

Im Folgenden gehe ich die Auswirkungen einer großen, weltweiten Studie nach – von der Veröffentlichung bis zu den darauf basierenden Ernährungsempfehlungen. Wie kommt es zu so unterschiedlichen Ernährung? Warum liegt die Ratgeberliteratur – und selbst dein Arzt – auch manchmal daneben?

2017 erscheint in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ eine großangelegte, internationale Studie, die sich dem Einfluss von Kohlenhydraten und Fetten auf Herzkrankheiten widmet. Die „Prospective Urban Rural Epidemiology Study“, kurz „PURE“ (Wissenschaftler lieben Abk.), ist riesig: In 18 Ländern wurden über 135.000 Personen zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt. Damit ist die Studie eine der größten Ernährungsstudien der Welt. Jahre später wurde geschaut, ob die Personen an Herzkrankheiten litten, oder sogar aufgrund von Herzproblemen verstarben.

Die Wissenschaftler haben die Daten interpretiert und kommen schließlich zum Schluss: Hoher Konsum von Kohlenhydraten sei mit einem höheren Sterblichkeitsrisiko verbunden. Wohingegen Fettkonsum mit einem geringeren Sterblichkeitsrisiko verbunden sei. Sie schließen mit der Bemerkung:

„Weltweite Ernährungsrichtlinien sollten angesichts dieser Erkenntnisse neu überdacht werden.“

Eigentlich scheint damit alles klar zu sein. Eindeutiger geht es nicht. Die Wissenschaft hat gesprochen. Jetzt schleunigst mehr Fett und weniger Kohlenhydrate. Hätten wir uns ja denken können. Hat doch jeder in der Familie oder im Bekanntenkreis jemanden, der total erfolgreich mit Low-Carb abgenommen hat und jetzt fit wie ein Turnschuh ist.

Aber Moment! Schmeiß das Bauchfett noch nicht auf den Grill. Die Sache ist doch nicht so eindeutig, wie sie zunächst erscheint.

Das pure Desaster: Kritiker schlagen zurück

Nach Veröffentlichung der Studie hagelte es weltweit an Kritik. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung reiht sich ein und kritisierte die Studie aufs Schärfste. Unter der Überschrift „Das PURE-Desaster“ schreibt die DGE:

„Nach Ansicht der Experten ist die Aussagekraft der Ergebnisse der PURE-Daten aufgrund methodischer Mängel stark eingeschränkt. Auch die Schlussfolgerung, dass aktuelle Ernährungsempfehlungen infrage gestellt werden, ist nach Ansicht der Experten falsch.“

Und tatsächlich ist es bei näherem Hinschauen merkwürdig, dass die Studie Ernährungsgewohnheiten von Menschen so unterschiedlicher Volkswirtschaften wie Schweden (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Jahre 2019: 51.404 US$) und Kanada (BIP: 46.272 US$) mit Pakistan (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1.349 US$) oder Simbabwe (BIP: 1.254 US$) vergleicht.

PURE-Studie: Von Äpfeln und Birnen

Makronährstoffe anstatt Essen?

Es ist doch vollkommen klar, dass Schwellenländer eine ganz andere Ausgangslage haben, was die Ernährungsmöglichkeiten ihrer Bevölkerung angeht, als westliche Industrienationen. Wenn dann nur 3 Industrieländer 15 Schwellenländern gegenüberstehen, wie es in der Studie der Fall ist, dann fragt man sich, ob die Daten für uns überhaupt eine Relevanz haben.

Kohlenhydrate sind halt preiswert – und wenn Obst und Gemüse gänzlich fehlen kommt es schnell zu einer einseitigen Ernährung. Der Ernährungsmediziner Hans Konrad Biesalski weist daher auf das Problem des „verborgenen Hungers“ hin. „Satt ist nicht genug“ ist sein Motto im Hinblick auf die Welternährung. Denn es fehlt vielen Menschen in den Schwellenländern durch die einseitige Ernährung an Mikronährstoffen.

„Dies verzerrt die Studienergebnisse erheblich“ , schreibt daher auch der Ernährungsmediziner Prof. Dr. Martin Smollich auf seinem (lesenswerten) Blog. Er mutmaßt, dass die Gründe für die hohe Sterblichkeit durch Kohlenhydrate in der PURE-Studie darauf basieren, dass in Schwellenländer „eine hohe Kohlenhydratzufuhr ein Indikator für Armut und Mangelernährung“ sei.

Kohlenhydrate sind nicht gleich Kohlenhydrate

Zudem macht es sich die Studie ein wenig zu einfach, wenn sie nur Makronährstoffe vergleicht, ohne auf deren Zusammensetzung zu achten. Kohlenhydrate sind eben nicht gleich Kohlenhydrate. Trotzdem wirft die PURE-Studie einfache und komplexe Kohlenhydrate in einen Topf.

Dabei weiß doch jedes Kind, dass eine Cola nicht mit einem Vollkornbrot zu vergleichen ist. Nicht nur geschmacklich, sondern auch physiologisch. Smollich schreibt in dem oben verlinkten Beitrag:

„Eine fettreiche, kohlenhydratarme Ernährung kann ebenso mangelhaft und gesundheitsschädlich sein wie eine fettarme, kohlenhydratreiche Ernährung.“

Es komme eben auf die Qualität der Lebensmittel an – nicht alleine auf die Quantität der Makronährstoffe.

Warum machen Studien so etwas?

Trotz der weltweiten Kritik hat die PURE-Studie Schaden angerichtet. Denn die Medien (und Low-Carb-Fans) reagierten natürlich überschwänglich auf die neuen „Erkenntnisse“. Die BILD-Zeitung titelte direkt:

„Fette sind gesünder als Kohlenhydrate. Neue Studie löst kleine Ess-Revolution aus.“

Die Kritik wurde salopp unter den Tisch gekehrt.

Die Verwirrung war perfekt. „Jetzt doch Speck und Eier statt Vollkornmüsli?“, fragt sich der ernährungsbewusste Esser.

Fraglich bleibt nur, was Wissenschaftler bewogen hat, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen und aus einer großen, aber nicht gerade aussagekräftigen Studie, absolute Ernährungsempfehlung für die ganze Welt ableiten zu wollen? Größenwahn? Voreingenommenheit? Geld?

Darüber kann man lange sinnieren. Gerade den Veganern ärgerte der Schaden, den diese Studie angerichtet hat ganz besonders, machte sie doch sämtliche „Publicity“ für eine fleischfreie, kohlenhydratbetonte Ernährung zunichte.

Ernst Walter Henrich, Mediziner und Gründer der Provegan-Stiftung, gibt zu bedenken, dass es immer schwierig sei die Geldgeber einer Studie herauszufinden. So schreibt er in einem Beitrag zur PURE-Studie:

„Auffällig ist bei dieser Studie, dass sie u. a. von mehreren Pharmafirmen und der ‚Heart and Stroke Foundation‘ finanziert wurde, die wiederum von der Milchindustrie finanziert wird.“

Ob du jetzt Veganer bist, oder nicht: Argwohn ist angebracht. Das hat alles ein „Geschmäckle“ wie man im Schwäbischen so sagt.

Der wahre Schaden schlechter Sensationsstudien

Jetzt könntest du natürlich sagen: „Was geht mich das an, wenn vielleicht die böse Industrie wieder die Finger im Spiel hat? Das ist nichts Neues. Und das die BILD-Zeitung gerne etwas über die Stränge schlägt, ist ja auch ein alter Hut.“

Das stimmt schon. Neu ist das nicht. Das Problem geht aber weiter. Denn eine Studie solchen Kalibers, die in einem der ältesten und bekanntesten Peer-Reviewed-Journals der Welt publiziert wurde, schlägt größere Wellen.

So berichtet das Ärzteblatt, eine Zeitschrift, die sich speziell als Informationsmedium an Ärzte wendet, auf ihrer Website: „Milchprodukte könnten vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen“ und bezieht sich darin explizit auf die Daten der PURE-Studie.

Was könnte dein Hausarzt jetzt wohl antworten, wenn du danach fragst, ob dein hoher Cholesterinspiegel irgendetwas mit deiner Liebe für Milch- und Käseprodukte zu tun hat? Wenn der Hausarzt den Artikel aus dem Ärzteblatt für bare Münze nehmen würde, wäre die Antwort wohl, dass du dir keine Sorgen machen müsstest, denn Milchprodukte sind gesund für Herz- und Kreislauf! Und ein paar Jahre später werden dir dann Statine verschrieben, weil der Cholesterinspiegel einfach nicht von alleine nach unten will.

Noch ein Ei zum Käse? – Ernährungstipps auf wackeliger Grundlage

In der Zeitschrift „Der Ernährungsmediziner“, ein „[u]nabhängiger Informationsdienst für Ärzte und andere Ernährungsinteressierte“ finde ich einen Artikel zum Thema „das Ei“ und dessen „Einfluss auf die Blutfettwerte, kardiovaskulären Erkrankungen und Mortalität“. Da ich ein Ernährungsinteressierter bin schaue ich mal hinein.

Auch dort wird u.a. mit Hilfe der PURE-Studie – also einer Studie, dessen Aussagekraft viele renommierte Wissenschaftler bezweifeln – das Frühstücksei rehabilitiert.

Was mich jedoch noch mehr stört ist das folgende Fazit:

So bessert eine Ergänzung des Kohlenhydratangebots durch Eiweißsubstitution das Lipidprofil im Blut, senkt den Blutdruck und in der Folge das kardiovaskuläre Risiko.“

Mit anderen Worten: Mehr Eiweiß und weniger Kohlenhydrate und mein Herz bleibt gesund? Leider kommt jedoch tierisches Eiweiß nicht alleine daher, sondern meistens u.a. zusammen mit gesättigten Fettsäuren, die wiederum in Verdacht stehen dein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erhöhen.

Ich als „Ernährungsinteressierter“ bin wieder verwirrt. Und das sind auch die Informationsquellen, aus denen selbst Ärzte ihre Ernährungsratschläge schöpfen?

Auch hier werden vorschnell irgendwelche Ernährungstipps ausgesprochen, auch wenn die Grundlage dafür eine sehr wackelige Datenlage darstellt, die solche Empfehlungen einfach nicht hergibt.

Wie „Fernseh-Docs“ und Ratgeberliteratur noch mehr verwirren

Auch der aus dem Fernsehen bekannte „Ernährungs-Doc“ Dr. Matthias Riedl basiert seine Empfehlungen u. a. auf der PURE-Studie. In seinem Buch „Iss dich gesund mit Dr. Riedl“ schreibt er (auf Seite 14 der Weltbild-Ausgabe):

„Wer Kohlenhydratträger wie Weizenbrot, Nudeln und Co. durch gute Fette ersetzt, hat eine um 20% Prozent höhere Chance, ohne Schlaganfall durchs Leben zu gehen. Das zeigen neueste Daten aus der PURE-Studie.“

Andere Ratschläge aus dem Buch basieren auf der PREDIMED-Studie, die, wenn ich Wikipedia glauben schenken darf, auch viel Kritik erfahren hat.

Wieder alles Ernährungstipps, nur auf einer wackeligen Datenlage gestützt?

Umso mehr bin ich verwirrt, als Herr Dr. Riedl auf der Website der BILD unter der Überschrift „Macht Fett wirklich fett?“ schreibt:

„Die richtige Menge Fett hält schlank und gesund. Faustregel: Die Kalorien aus Fett sollten 10 % der täglichen Kalorien ausmachen.“

Moment, ich soll nur 10% meiner Kalorien aus Fetten beziehen? Das wären ja weniger als 30 Gramm pro Tag. Selbst die angeblich so konservative DGE empfiehlt 30% bis 35% des täglichen Kalorienbedarfs aus Fetten. Aber in dem Buch steht doch, dass ich Kohlenhydrate durch Fette ersetzen soll? Verwirrt? Ich auch.

Wie findest du aus der Verwirrung heraus?

Isst du schon Lebensmittel, oder noch Kohlenhydrate und Fette?

Als Laie fehlt dir die Zeit und das Fachwissen jede Ernährungsstudie auf Validität ihrer Aussagen hin zu überprüfen. Aber es ist vollkommen gerechtfertigt die Frage zu stellen, woher die Experten im weißen Kittel ihr Ernährungswissen beziehen. Nicht jeder Ratschlag ist automatisch sinnvoll, auch wenn er aus dem Bestseller eines Ernährungsmediziners oder einer großen Studie stammt.

Im deutschsprachigen Raum gibt es genügend Kritiker, die sich generell gegen solche Ernährungsratschläge stellen. Werner Bartens, Uwe Knop, Udo Pollmer oder Gunter Frank werden nicht müde ihre Stimme gegen den „Terror der Gesundesser“ (Bartens) zu erheben. Kritik und Polemik sind durchaus gerechtfertigt bei so einem Verwirrspiel. Denn manchmal kann ein Zurückschreien dabei helfen sich Gehör zu verleihen. Unterhaltsam sind ihre Bücher allemal.

Die Stimme der Vernunft ist allerdings nicht so laut, wie das Marktgeschrei der Medien. Und so mag die Lösung vielleicht die ganze Zeit vor unserer Nase liegen, nur wir erkennen sie nicht.

Wir essen weder Makronährstoffe, noch einzelne Lebensmittel

Ist es besser mehr Fett zu essen, oder mehr Kohlenhydrate? Solltest du lieber mehr Protein zu dir nehmen? All diese Fragen gehen fehl, denn wir essen weder Makronährstoffe, noch einzelne Lebensmittel. Sondern Essen.

Um noch einmal aus dem Blog-Beitrag von Prof. Dr. Smollich zu zitieren:

„Der alleinige Fokus auf der Quantität von Makronährstoffen in der Ernährung ist in keiner Weise aussagekräftig, wenn nicht auch die Qualität der Lebensmittel einschließlich der Mikronährstoffdichte berücksichtigt wird.“

Weder einzelne Lebensmittel noch eine spezifische Makronährstoffverteilung sind die Antwort. Der Australier Gyorgy Scrinis nannte so eine verblendete Sichtweise „Nutritionism“. Doch wir fallen immer wieder darauf herein:

  • „Broccoli hilft gegen Krebs“ (Nutritionism)
  • „Ingwer hilft gegen Corona“ (Nutritionism)
  • „Mehr Protein, weniger Kohlenhydrate“ (Nutritionism)
  • „Mehr Fett, weniger Kohlenhydrate“ (Nutritionism)
  • „Mehr Kohlenhydrate, kein Fett“ (Nutritionism)
  • usw.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Selbst der sonst für seine Lust an der Esskultur bekannte britische Fernsehkoch Jamie Oliver wirft seit einigen Jahren die Paprika ins Essen, weil sie so viel Vitamin-C enthält – nicht alleine weil es zu dem Gericht so gut passt.

Mit Ernährungsgrundsätzen, wie „esse vielfältig und abwechslungsreich“, oder „achte auf die Qualität deiner Lebensmittel, nicht auf die Quantität der Makronährstoffe“ lässt sich kein Geschäft machen. Sie sind so unsexy wie Omas Strickweste. Das heißt aber nicht, dass sie falsch sind.

Vielleicht sollten wir uns genau diese Grundsätze wieder vor Augen führen, anstatt zu fragen, ob jetzt Fette, Kohlenhydrate oder Protein „besser“ ist. Oder ob zu dem Grünkohl-Smoothie vielleicht eine Prise Kurkuma gesund wäre.

Anstatt also allen Ernährungstrends hinterherzurennen, oder direkt fatalistisch den nächsten Burgerladen anzusteuern, sollten wir vielleicht mal die Scheuklappen aufsetzen und uns auf das besinnen, was wir sowieso schon über die Ernährung wissen. Ohne direkt jeden medialen Trend aufzugreifen. Und wenn dann trotzdem ab und an die Pizzeria angesteuert wird, ist das wahrscheinlich auch nicht so schlimm.

Fazit

Eine der größten Ernährungsstudien der Welt verband hohen Kohlenhydratkonsum mit hohem Sterblichkeitsrisiko, während Fettkonsum angeblich das Gegenteil bewirke. Viele Wissenschaftler kritisierten, dass die Studie diese Aussage nicht zulasse. Trotzdem wurden direkt Ernährungstipps ausgesprochen, die auf dieser Studie basierten. Und das nicht nur in großen Tageszeitungen, sondern auch in der Ratgeberliteratur von Ernährungsmediziner und in Informationsmedien für Ärzte.

Weil diese Ernährungsratschläge von Autoritätspersonen ausgesprochen werden, vertraust du ihnen. Doch in Wirklichkeit stehen die Ratschläge auf einem wackeligen Datenfundament. Bei einer Ernährungsumstellung solltest du daher jeden Ratschlag hinterfragen. Auch dann, wenn er scheinbar seriös im weißen Kittel daherkommt.

Ein Stück weit können wir uns dabei auf unseren Instinkt verlassen. Denn jeder weiß, dass z.B. Vollkornbrot gesünder als Cola ist. Generell sind Aussagen über einzelne Lebensmittel oder der Makronährstoffverteilung irreführend. Viel wichtiger ist die Qualität des Essens insgesamt.

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